WITTENBURG und WITTENBERG als beschreibende Begriffe
Witt, Witte, Witten
WITTENBURG und WITTENBERG sind die Zusammensetzung von zwei Wörtern, ‚Witten‘ und ‚Burg‘, respektive ‚Berg‘. ‚Witt‘ steht für „weiß“ in plattdeutsch, einem Dialekt, der hauptsächlich im Norden Deutschlands gesprochen wird, wo der Name entstand. ‚Wit‘ und ‚wyt‘ sind auch die Übersetzungen für ‚weiss‘ ins Niederländische bzw. Friesische, ‚Hvid‘, ‚Hvit‘ und ‚Vit‘ in Dänisch, Norwegisch und Schwedisch, der anderen drei der nordgermanischen Sprachen, und ‚Hwit‘ in Alt-Englisch. „Witten“ dient als plattdeutsches Adjektiv, um ein weißes Objekt zu beschreiben.
Während dies die wahrscheinlichste und am weitesten verbreitete Erklärung ist, muss man sich bewusst sein, dass in der deutschen Sprache, wie bei vielen andern auch, Worte, je nach Zusammenhang, verschiedene Bedeutungen haben können. Sie können ursprünglich der gleichen Wortwurzel ensprungen sein, wurden aber später durch regionale Sprachentwicklung auf verschiedene Weise verstanden. So ist es mit ‚Witt‘ ‚Witte‘ und ‚Witten‘, welche als Komponente der Niederdeutschen Sprachgruppe die hochdeutsche zweite Laufverschiebung im Mittelalter nicht migemacht hatten. Demnach ist Niederdeutsch – oder ‚Plattdeutsch‘ den oben genannten Sprachen immer noch viel näher als Hochdeutsch. Es ist deshalb wichtig, deren andere Bedeutungen auch zu untersuchen.
Das ‚Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm‘[1] (ja dieselben welche in der ersten Hälfte des 19. Jhdts die nach ihnen benannten Märchen sammelten und veröffentlichten, darunter auch ‚Schneewittchen‘ – ‚Schneeweisschen‘) erörtern im mittel-hochdeutschen Wort ‚wit, wid‘ aus dem germanischen und keltischen ‚widu, witu, wito‘ eine Verbindung mit Wald und Holz (‚woods and wood‘ auf English), das alte Verb ‚witten‘ als ’sich mit Holz versorgen‘. ‚Widu‘ ist auch Bestandteil im Namen des heidnischen Sachsenführers, der sich schliesslich nach den langen fränkisch-sächsischen Kriegen im 8. Jahrhundert Karl dem Grossen ergab. Sein Name entwickelte sich zu ‚Wittekind‘[2], was seinerseits in Nord- und Nordwest Deutschland zahlreiche Beziehungsnamen herbeiführte. Der Name bedeutet ‚Kind des Waldes‘, und dem Namensträger wird die Kraft des Waldes und seiner Geschöpfe, vorallem des Wolfs, zugesprochen. Sein Name erscheint spekulativ als der Ursprung des Namens von Wittenburg in Niedersachsen, jetzt ein Stadtteil von Elze, sowie Luther’s Wittenberg in Obersachsen, obwohl es keine konkrete Beweise gibt, Widu/Wittekind mit einem oder dem anderen Ort in Zusammenhang zu bringen.
Petrus Albinus’ ‘Meissnische Land- und Berg Chronica’ von 1589[3] lässt ‘Wittechindus’ als Verbündeten von Karl dem Grossen einen Feldzug gegen die slawischen Sorben führen, nach dessen Erfolg mehrere Festungen in den eroberten Ländereien bauen, darunter eine, die der Kaiser zu Ehren von Wittekind nach dessen Namen nannte, mutmasslich ‘Wittechindusburg’, das heutige Wittenberg, aus Dank für seine Hilfe während des Feldzuges. Wir können davon ausgehen, dass dies mehr Legende als Tatsache ist, weil man erstens über Wittekinds Schicksal nach seiner Ergebung und Taufe 785 sehr wenig weiss und zweitens, wie Samuel P. Schalscheleth, (Johann Gottlob Heynig) in seiner ‘Historisch-geographische Beschreibung Wittenbergs und seiner Universität’ von 1795[4] feststellt, hätte and jener Stelle eine Burg ode ein befestiger Ort in so ferner Vergangenheit bestanden, wäre dies den mittelalterlichen Kloster-Chronisten bestimmt nicht entgangen.
Was Wittenburg in Niedersachsen anbetrifft, sind die Grundlagen noch dürftiger: Wittekind als möglicher Namensgeber beruht auf nicht mehr als einer noch anderen Vermutung, dass die Billunger Herzöge von Sachsen als deren wahrscheinlich einstige Besitzer Nachkommen von Widukind waren. Eine weitere Behauptung eines modernen Autors ist, dass die Burg nach ‘Witegowo’ benannt wurde, was der ursprüngliche Namen derselben Sippe gewesen sein sol, bevor deren Mitglieder als die ‘Billunger’ bekannt wurden. Alles Vermutungen ohne Grundlage .
Es wird in der Regel von Forschern in die Ursprünge von deutschen Ortsnamen bestätigt, dass jene die mit der Einzelsilbe ‚Witt‘ beginnen, sich auf Wald oder Gehölz beziehen. So ist die deutsche Stadt Wittstock dem englischen Woodstock[5] gleich. Soll dies deshalb bedeuten, dass das alte Verb ‚witten‘ – sich mit Holz beschaffen – am Anfang eines Ortsnamens jenen in einen ‚Ort in welchem man sich Holz beschafft‘ macht, wie das in einem Internet Forum in einer Diskussion zum Namen Witttenberg suggeriert wurde? Nicht wenn man alle anderen möglichen Interpretationen von ‚Wit/Witten‘ in ihren Zusammenhängen untersucht.
Ein anderes Beispiel ist ‚whitten‘ in Dialekt-Englisch für Schneeball Sträucher. Auf den ersten Blick würde man darin einen Zusammenhang mit dem alt-germanischen Wort ‚Witt‘ für Gehölz erkennen, aber dem ist nicht so laut Merriam-Websters Wörterbuch[6]. Es wird angenommen, dass der Ursprung das alt-englische Wort ‚hwit‘ for ‚weiss‘ ist, und tatsächlich zeichnen sich die genannten Sträucher durch deren reichhaltigen weissen Blüten aus.
‚Witfrau‘, später zu ‚Witwe‘ geworden, ist ein weiterer Begriff, der durch ‚Wittisburg‘ als den Namensursprung für die Wittenburg in Niedersachsen vorgeschlagen wurde, weil von dieser gesagt wird, dass sie einst als Witwensitz einer Familie gedient haben soll, die mit der Burg eine Beziehung hatte. Der Nachname ‚Witte‘[7] (auch als die ‚Albus‘ – Die Weissen – bekannt) kommt weiter unter den Möglichkeiten des Ursprung für den Namen von Burg und Siedlung Wittenburg in Mecklenburg vor.
‚Witt‘ und ‚Witte‘ haben auch einen Zusammenhang mit Geld, genauer gesagt mit einer Münze, die von 1330 an als ‚die Witte‘[8] in den norddeutschen Hansastädten in Umlauf kam. Eine ähnliche Münze wurde während der Regierungszeit von Kaiser Karl IV geprägt und war von 1360 an im westlichen Heiligen Römischen Reich im Umlauf. Wie die hansische ‚Witte‘, wurde diese durch Weisssud silbrig gemacht und unterschied sich dadurch von anderen, aus Kupfer gemachten, Münzen. Die Münze wurde deshalb ‚Wittpfennig‘ (denarus albus, Weisspfennig) geannt, auch ‚Wittenpfennig‘ in Norddeutschland. Ein Spassvogel im Internet wollte dadurch in der Namensdeutung von Wittenberg figurativ auch einen ‚Geld-‚ oder ‚Münzenberg‘ erkennen.
Nicht genug mit Assoziationen zu Wald/Gehölz, Witwen, weiss und Münzen, es gibt noch eine weitere Bedeutung von ‚wit/witte‘, die Aufmerksamkeit verdient: Jene von Plattdeutsch für gescheit und Weisheit, die gleiche wie das moderne englische Wort ‚wit‘. Die englische Version soll aus dem alt-englischen ‚witt‘[9] entstanden sein, und dieses wiederum aus dem proto-germanischen ‚wifja‘[10], das sich in das heute gebräuchliche Wort ‚Witz‘ entwickelte, das jetzt zwar mehr mit Scherz in Zusammenhang gebracht wird, aber trotzdem auch seine ursprüngliche Bedeutung von ’schlau-gescheit‘ im weiteren Sinn noch beibehalten hat. Dies führt zu den ‚Witten‘ in einer deutschen Übersetzung in 1819 von John Millars 1786 ‚An historical View of the English Government from the Settlement of the Saxons to the Revolution of 1688‘ (Historische Entwicklung der englischen Staatsverfassung)[11]. Das Buch erwähnt die anglo-sächsischen Weisen als die ‚Witten‘ und deren altwürdigen Rat als den ‚Wittena-Gemote‘, in zeitgenössichem English der ‚Witenagemot‘..
‚Witte‘ als ein Begriff von Weisheit kam ebenfalls in Georg W. Kirchmaier’s 1750 ‚Disquisitio Historica D Martini Lutheri‘[12] vor. Er war ein Gelehrter an der Universität von Wittenberg, und er meinte, dass ‚Weisheitsberg‘ die zutreffendste Namensdeutung für Wittenberg sei. Er wurde dafür als ein Schwärmer abgetan, von zahlreichen Forschern, die ihm folgten sogar öffentlich belächelt. Kirchmaier zeigte in der Tat etwas zuviel Begeisterung für die Entwicklung der These, dass selbst der Name dieses voran unbemerkenswerten Fleckens von wo aus die protestantische Reformation begann, schon eine Vorahnung dessen war, was dort dereinst geschehen sollte. Als ein Sprachforscher hatte er hingegen recht, auch auf diese andere Bedeutung von ‚Witt/Witte‘ hinzuweisen. Ob richtig in diesem Zusammenhang, ist eine andere Frage. Näher der Gegenwart gab es auch Stimmen, die in der Entwicklung von ‚Widukind‘ – Kind des Waldes – zum deutscher tönenden Namen ‚Wittekind‘ die Bedeutungen von ‚hell‘, ‚Licht‘ und ‚Weisheit‘ als die bezeichnenden Eigenschaften des heldenhaften antiken Sachsenführers erkennen wollten, eine Ansicht die vorallem in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gefördert wurde..
Der Berühmtheit, die Wittenberg als den Ort erlangte, wo die Reformation begann und von wo sie sich über Europa ausbreitete, folgte die Suche nach der Bedeutsamkeit einer bis anhin unbedeutenden Ortschaft als diejenige für göttliche Offenbarung. Allerhand Versuche wurden deshalb gemacht, Wittenberg einen antiken Anhauch zu geben, mit teilweise ekletischen Ergebnissen: Dass ‚Calegia‘, die vom antiken Geographen Ptolemäus‘ erwähnte germanische Stadt, keine andere als Wittenberg gewesen sein muss. Dass, nach Friedrich Myconius, einem Professor in Wittenberg während der Zeit Luthers, sich nach der Zerstörung von Jerusalem und der Vertreibung aus ihrer Heimat Israeliten in der Umgebung von Wittenberg niedergelassen hätten, und dass sich dort deshalb die Grosszahl der geographischen Merkmale und Orte auf ursprünglich hebräische Namen beziehen. Dass Wittenberg eine Ableitung des biblischen Bergs ‚Libanus‘ sei, dessen semitischer Ursprung aus ‚weiss‘ käme, und selbstverständlich auch bekannt als der ‚Berg der Weisheit‘. Man sieht woher selbst mehr als zweihundert Jahre später Kirchmaiers Inspiration für ‚Weisheitsberg‘ herkam. Auch Philipp Melanchthon scheint dieser Begeistungerung für die Antike in den Hochjahren der Reformation anheimgefallen zu sein. Es sei hier noch erwähnt, dass die 1502 in Wittenberg gegründete Universität den Namen ‚Leucorea‘ bekam von ‚leukos oros‘, griechisch für ‚weisser Berg‘.
Die fantastischsten der oben angeführten Behauptungen wurden schon in der Meissner Chronica von 1589 hinterfragt und dann von Georg W. Kichmaier in seiner ‚Disquisitio Historica‘ sowie anderen im 18. und 19. Jahrhundert widerlegt. Die ungeläufigen Namen wurden eher mit slawischem als mit hebräischem Ursprung in Zusammenhang gebracht. Diese Ideen entwickelten sich wahrscheinlich aus Luthers spielerischen Überlegungen in seiner Schrift ‚Vom Missbrauch der Messen‘ in 1522[13], worin er schreibt: „…Und obwohl erlich achten werden, ich treyb ain gauckelspil, so wil ich weyter spilen unnd mich verwundern, wie es zugeet, das gott in disem verachten ort der welt, hat sein wort erwecken wollen, und das ain wunder ist, welchs kaym landt, ich acht, widerfaren ist, das die stett und dörffer umb Wittenberg, auch die Burger, hebreysch namen haben, wie die stett und fleck umb Jerusalem. Wa kumpt her, Ephrata, Hebron, Ressen, Panneck, Globog, Zidon, Jesse, Damatz, Dibon, und dergleychen vil. Un Wittemberg selbst, das ist Weyssenberg, was ist anders den der berg Libanus, libanus hayst weiss, damit genug gespilt…“
Man kann sich fragen, was Luther zu solchen Spekulationen veranlasst hatte. Vielleicht gab es um jene Zeit tatsächlich zahlreiche jüdische Gemeinschaften in diesen Landstrichen, vielleicht waren es andere Gründe. Albrecht Beutel schreibt in einer Fussnote seines Buches ‚Am Anfang war das Wort – Eine Studie zu Luthers Sprachverständnis‘ über die Wiederentdeckung und dem Interesse an antikem Griechisch und Hebräisch in jener Epoche. Es war eben wohl nicht mehr als ein ‚Gauckelspiel‘, wie es Luther selbst nannte, eine Reflektion des akademischen Interesses seiner Zeit, das dann aber weit grösserer Interesse und Begeisterung auslöste, als sich Luther hätte vorstellen können. Was inbezug auf dieses Kapitel wichtig ist, ist die Feststellung, dass auch Luther, trotz all die vorangegangenen Vermutungen und Behauptungen über Wittenbergs Ursprung und Namen ‚Witt/Witten‘ hier mit ‚Weiss‘ gleichsetzt.
Es ist zu hoffen, diese Abhandlung mache klar, dass Rückschlüsse auf den Ursprung und die Auslegung von Namen durch einfache Assoziation von Ideen ohne Referenz zu Sprachentwicklung, regionalen Dialekten und Zusammehängen leicht zu Fehlschlüssen führen können. Kehren wir nun zur Definition in den ersten paar Zeilen dieses Artikels zurück und prüfen deren Gültigkeit auf dem Hintergrund der Sprache in der sie gemacht wurden – dem regionalen Dialekt. Nieder- oder Plattdeutsch sowie friesische Dialekte übersetzen ‚weiss‘,’bleich‘ mit ‚witt‘. Das entsprechende Adjektiv ist ‚witte‘, kann aber auch ‚witten‘ sein, entsprechend dem was es beschreibt. ‚Witten‘ als Verb bedeutet etwas ‚weiss machen‘. Alle Drei bedeuten das Gleiche auch auf Holländisch, eine Sprache die dem Niederdeutschen, Friesischen und Flämischen sehr nahe ist. Man notiere das obige ‚bleich‘: ‚Weiss‘ hatte früher nicht nur die uns heute geläufige Bedeutung im Farbenspektrum, sondern erstreckte sich im weiteren Sinn eben auch auf ‚bleich‘, ‚hell‘, ‚leuchtend‘, ‚licht‘ und ähnlichen Begriffen. Nun weiter zum Kontext von Geographie und Objekt.
Die Länder in Deutschland, die jetzt Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt heissen, und wo sich eins der zwei Wittenburgs und Luthers Wittenberg befinden, waren bis zur Eroberung der Herzöge von Sachsen im 11. und 12. Jahrhundert Gebiete der slawischen Wenden, auch als Sorben bekannt. Alexander Buttmann[5] schrieb 1856 in seinem Buch ‚Deutsche Ortsnamen‘, dass die Sorben das heutige Wittenberg ‚Belagora‘ – ‚Weisser Berg‘ nannten. Es gibt Beweise, dass das dort ansässig gewesene slawische Volk den Namen ‚Belagora‘ schon um 983 zumindest einer anderen Ortschaft in der Gegend gegeben hatte, der im heutigen ‚Belgern‘ weiterlebt. Buttmann meint, dass Wittenberg die Übersetzung des slawischen Namens nach der Übernahme durch sächsische und flämische Siedler sein könnte, warnt aber, dass es unmöglich sei festzustellen, welche Version die frühere gewesen sei, da zum Christentum konvertierte Wenden weiterhin dort wohnten. Man muss sich hier vor Augen halten, dass Eroberungen damals noch nicht gleichbedeutend mit jenen des uns vom 20. Jahrhundert her bekannten waren. Menschen bedeuteten Reichtum für Landesfürsten in Agrarwirtschaften. So lange die Eroberten dem neuen Herrn und seinem Gott Treue schwörten, wurden sie normalerweise nicht vertrieben.
Zum Thema Migration und Göttern ist noch mehr zu sagen: Das slawische ‚bel‘ für ‚weiss‘ oder ‚hell‘ beschränkt sich nich nur auf die Farbe oder Licht. Alte Slawenvölker verstanden Farben auch als Himmelsrichtungen – weiss für West, und ‚hell/scheinend‘ als Licht auch um deren guten Gott, Belbog or Belobog zu beschreiben, im Gegensatz zu jenem der Dunkelheit, Chernobog, auch genannt Tschernibog[5]. Man kann sich vorstellen, dass eine befestigte Siedlung an der westlichen Grenze der slawischen Gebiete eine zweifache Bedeutung im Sinne seiner Lage gehabt mag, aber spekulieren wir lieber nicht auch noch über die Bewandtnis von ‚Bel-‚ zum Göttlichen, es sei denn wir wollten in die Fussstapfen Kirchmaiers treten.
Weiss als eine beschreibende Farbe kommt demnach in slawischen Ortsnamen oft vor, und es gab zumindest zwei Belgard in Pommern, welche selbst durch die ganzen Jahrhunderte, als Pommern brandenburgisch-preussisch war, unverändert blieben. Sie nennen sich jetzt in Polen Bialogard und Bialogarda, immer noch gleich bedeutend mit ‚weisse Burg/Stadt‘ Das gleiche Gebiet weist auch verschiedene Bialagora auf, einige davon im Mittelalter wahrscheinlich zu Weissenberg umbenannt und nach 1945 wieder zum slawischen Namen.
A.M.Meyner erwähnt in seiner ‚Geschichte der Stadt Wittenberg‘[14] von 1845 Carl Schramms 1735 Buch ‚Historischer Schauplatz… merkwürdigsten Brücken‘[15], worin dieser die Möglichkeit erörtert, dass dort während der Wendenzeit eine Furt bestand, nach seinen Worten …“und ward aus dieser Ursache die Stadt Wittenberg von denen Sorben und Wenden‘, Well- oder Bell-Brod, auch Bell-Brad, ein weisser Überfurth, zum Unterscheidner Schades über der Elbe gegen Mittag liegenden Dorfes Broda oder Pradau…“ Laut Schramm soll die Furt später ‚Wittebrod‘ oder ‚Wittekinds Überfuhrt‘ genannt worden sein. Albinus in Meissnische Chronica und Kirchmaier in Disquisitio erwähnen beide ebenfalls ‚Belbrod‘ und fügen ihre eigenen Vermutungen hinzu wie aus ‚-brod‘ ‚-berg‘ wurde.
Das ist jedoch noch nicht alles: H.L. Leopold lieferte 1802 in ‚Wittenberg und die umliegende Gegend[16]‚ mit Eduard Pietzsch in ‚Saxonia, Museum für sächsische Vaterlandskunde, Zweiter Band‘[17] von 1836 noch eine andere Theorie for die Namensentwicklung: Pietzsch schreibt, dass die Festung des von den Sachsen dort errichteten Burgwards mit Steinen von weisslicher Farbe erbaut worden sei und daher ‚wite Burg‘ genannt wurde, dann ‚Witburg‘, ‚Wittenburg‘, ‚Wittemberg‘ und schliesslich Wittenberg. Meyner verweist ebenso auf weissliches Gestein in seiner ‚Geschichte der Stadt Wittenberg‘ wo er sich mit dem Untergrund der Stadt beschäftigt, und den bei späteren Grabungen gefundenen weisslichen, versteinerten Bäumen.
Im Hinblick auf die Übersetzung des Ortsnamens, ob von den Sachsen oder niederländischen Siedlern, und ob eine Siedlung namens ‚Belagora‘ oder ‚Belbrod‘ da wo das heutige Wittenberg ist bereits bestand, ob ‚-burg‘ oder ‚-berg‘, es mag vielleicht kein Grund zum Übersetzen nötig gewesen sein: Die Neuankömmlinge sahen dieselben landschaftlichen Eigenschaften wie die Wenden, die weissen Sandbänke der Elbe, die niedrigen, bewaldeten und sandigen Hügel im Norden sowie die weisslichen Mauern der die Siedlung beschützenden Burg, – genug um ‚weiss‘ ebenfalls mit der neuen Siedlung in Zusammenhang zu bringen, aber in ihrem eigenen Dialekt.
Weshalb die Kolonisten aus den Niederlanden im 12. Jahrhundert? Heinrich Ch. Stier schreibt in ‚Wittenberg im Mittelalter‘ 1855,[18], dass diese Flüchtlinge vor Naturkatastrophen gewesen wären, darunter die Allerheiligenflut von 1170, welche grosse Gebiete der Niederlande unbewohnbar gemacht hatte und die Zuiderzee von einem Süsswassersee in einen von Salzwasser verwandelte. Dies fand sich schon in die Meissnische Land und Berg Chronica von 1589. Darin wird auch von den niederländischen (auch von flämischen) Siedlern gesprochen und auf die zahlreichen geographischen Bezeichnungen in der Gegend hingewiesen, die auf jene zurückzuführen sind. Siedler aus den Niederlanden finden sich in allen Gebieten, wo sich der sogenannte ‚Wendische Kreuzzug‘ zugetragen hatte. Abgesehen davon sprachen die sächsischen Siedler des alten Kernlandes, und was heute Niedersachsen ist, einen Dialekt der dem Niederländischen sehr nahe kommt. Es folgt daraus, dass man in dieser Landschaft viele ‚flämisch‘ oder plattdeutsch klingende geographischen Namensbeschreibungen findet.
Was die Beziehung mit weisslichen Hügeln oder Bergen anbelangt, so entwickelte sich weiter unten entlang der Elbe noch eine andere Siedlung, die von ähnlicher Geographie umgeben ist, eingebettet zwischen weissen Sanddünen, Wittenberge. Dasselbe gilt für Wittenbergen am unteren Elbelauf westlich von Hamburg und jetzt ein Teil dieser Stadt. Sein Name kommt ebenfalls von den dortigen weissen Sanddünen her. Ähnlich steht es mit dem kleinen Dorf Wittenbergen im Amt Steinburg in Schleswig-Holstein, nur ist der Name wahrscheinlich auf die dortigen weissen Kreideablagerungen zuruckzuführen.
Nach dem Hinweis auf den Einfluss auch der niederländischen Sprache auf die Entwicklung der Namen darf man sich fragen, ob es denn auch Wittenburg und Wittenberg in den Niederlanden und in Flandern gebe. Die Antwort ist bejahend, aber diese entstanden viel später als die deutschen Orte von den hier die Rede ist und werden weiter im Artikel ‚Geographische Namen‘ behandelt.
Zurück zu Wittenburg, zur einstigen Burg, welche dem Dorf, das heute ein Teil der Kleinstadt Elze in Niedersachsen ist, den Namen gab. Ihre Geschichte reicht wahrscheinlich ins 8. Jahrhundert und noch früher zurück. Leider besteht keine Burgruine mehr. Nur die Blöcke aus weissem Kalkstein der teilweise zerfallenen Mauer, die den Garten des um 1328 errichteten Klosters Wittenburg umfasste (siehe Banner und Foto) sind noch da, das Kloster selbst auch schon seit langem abgetragen.
Die hell erscheinende Burg auf kommandierendem Höhenzug muss seinerzeit eine aussergewöhnliche Ansicht von den Niederungen im Süden und Osten gewesen sein, und die gesichtete ‚witte Burg‘ mag sehr wohl als Wittenburg zum Referenzpunkt geworden sein, gleichwohl der später gemachten Namensdeutungen.
Es gab noch andere gleichgenannte Burgen in Niedersachsen: Eine davon war die Wittenburg im Göttinger Wald. Sie war eine Fluchtburg, deren Ursprung aufgrund von archäologischen Funden der Späthallstatt und der Frühlatenezeit zugeordnet wird. Das Baumaterial der Burgwälle war der vorhandene helle Muschelkalk, woher wohl der spätere Name stammte. Der hätte aber auch vom Hügel auf dem die Wittenburg stand, dem Wittenberg, abgeleitet werden können, dessen Name seinerseits wahrscheinlich auf die dort gefundenen geologischen Eigenschaften zurückzuführen ist.
Die andere ist die ‚Witteburg‘, auch ‚Witteborg‘ genannt. Diese wurde 1220 an der Weser unterhalb von Bremen mit der Absicht erbaut, Zölle vom regen Flussverkehr einzutreiben. Diese kleine Festung am Fluss wurde nach zeitgenössichen Chronisten mit weisslichen Steinen erbaut und daraus kam ihr Name. Sie dauerte nicht einmal bis zum Ende des Jahrhunderts, bis sie von den aufgebrachten Handelsleuten von Bremen zerstört wurde, weil diese die Zölle als einen unverschämten Eingriff empfanden. ‚Raubritter‘, die vielleicht ihre Hand überspielten?
Das Städtchen Wittenburg in Mecklenburg-Vorpommern erfreut sich ebenfalls einer sehr langen Geschichte, da dort laut Überlieferung schon seit dem 9. Jahrhundert eine slawische Burg und Siedlung bestanden haben soll. Die dortige Landschaft ist flach und war wahrscheinlich waldreicher und sumpfig im Mittelalter. Die wendischen Polaben-Obodriten bauten eine Fluchtburg zum Schutz ihrer Siedlung. Sie errichteten einen Hügel (der heutige Amtsberg) als Basis und benutzten dazu was immer ihnen als Baumaterialien zur Verfügung standen: Von Eiszeitgletschern über die Landschaft verstreute Steinblöcke wurden aufgeschichtet und zusammen mit Erde und darunter geflochtenen Holzstämmen zu einer harten Masse gestampft. Die darauf erbaute Palisadenburg muss beindruckend ausgesehen haben, ein Lichtschein im dunklen Wald- und Sumpfland. Ist es so so abwegig anzunehmen, dass sie der von fern hell und leuchtend erscheinenden Burg einen entsprechenden Namen gegeben hatten? Das nachstehende Bild gibt einen Eindruck, wie die Wallburg ausgesehen haben mag.
Natürlich kann es auch sein, dass die Farbe ‚weiss‘ durch die Nähe zur westlichen Grenze gegen Sachsen von den Wenden mit ‚westlich‘ interpretiert wurde, also war es vielleicht die ‚Westburg/stadt‘.
Otto Vitense schrieb in 1919 in seiner klassischen ‚Geschichte von Mecklenburg‘[19], dass diese befestigte slawische Siedlung ‚Belgard‘ oder ‚Belgrad‘ = weisse Burg/Stadt, hiess und dass die sächsischen Eroberer diesen Namen für die Burg, die sie auf den Ruinen der wendischen Burg bauten, übernommen und auf Deutsch übersetzt hätten. Vitense vermutet, dass der slawische Name durch die rasche Germanisierung bald verloren gegangen sei, da selbst die ältesten noch erhaltenen Dokumente darüber schweigen. Er scheibt weiter auch dass ‚ bei der Erwähnung des pommerschen Landes und des Ortes ‚Belgard‘ (jetzt auf Polnisch ‚Bialogard‘) dieses geradezu mit Wittenburg übersetzt werde.‘ Diese Tatsache könnte allerdings auch ein Fragezeichen setzen, weshalb das weiter westlich gelegene ‚Belgard‘ überhaupt hätte übersetzt werden sollen. Es sei denn, die gegebenen Umstände bei der Besitznahme von Pommern durch Brandenburg-Preussen einige Jahrhunderte später, nach dem Dreissig Jährigen Krieg, hätten die Beibehaltung von slawischen Namen erlaubt, aber jene während des Wendenkreuzzugs der Sachsen nicht. Sollte eine solche Übersetzung tatsächlich stattgefunden haben, hätten die sächsischen Eroberer die Farbe weiss offensichtlich nicht mit Himmelsrichtungen identifiziert. Diese hätten ‚weiss‘ einfach im Sinne von ‚hell, ‚leuchtend‘ ‚weit sichtbar‘ verstanden.
Die erste verlässlichen sächsischen Urkunden von 1194 erwähnen eine provincia Wittenburgh, aber nichts von einem vorhergehenden Namen. Ein in verschiedenen Literaturquellen erscheinendes früheres Dokument von 1154 erwähnt die provinciie Wittenburg entweder im Zusammenhang mit der Gründung des Bistums Ratzeburg oder eines Geschenkes von Heinrich dem Löwen, Herzog von Sachsen. Es bestehen jedoch Zweifel über dessen Echtheit, da es Hinweise gibt, dass im 13. Jahrhundert Änderungen angebracht wurden, vielleicht sogar das Dokument selbst eine Fälschung ist, um jemandes damaligen rechtlichen Ansprüche zu untermauern[20].
Könnte der Name dieses Wittenburgs vielleicht auch das Ergebnis einer Namensübertragung sein, wie es einer der Forscher der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, der unermüdliche Walter Erich Wittenburg aus Heidenheim vorgeschlagen hatte? Von Wittenburg in Niedersachsen, die zu den Allodiengütern einiger der Sachsen Herzöge gehört haben soll, auf deren neuen Burg im späteren Mecklenburg? Solche Namensübertragungen kamen damals vor, wie sie auch in anderen kolonialen Unternehmen festzustellen sind, aber deren Anwendung war beschränkt. Eine andere Deutung ist, dass der Name dieses neuen sächsischen Wittenburg für Burg sowie Siedlung vom Namen einer besitzreichen und einflussreichen sächsischen Familie in jenem Gebiet, den ‚Witte‘[7] , auch ‚Albus‘ genannt , her stammt. In der Tat gehörte denen die Burg für eine Zeitlang als ein Lehen von Heinrich dem Löwen.
Eines macht das vorangegangene Kapitel klar, es gibt eine verwirrende Auswahl von Möglichkeiten für die Bedeutung des ‚Witten-‚ im Namen der untersuchten Ortschaften und liefert deshalb eine gute Gelegenheit zur Verwendung von Ockhams Rasiermesser, das heisst der Suche nach der einfachsten Erklärung ohne Mithilfe von weit hergeholten Annahmen. Auf dieser Basis ist das ‚Witten‘ in Wittenburg und Wittenberg als ‚weiss‘ zur die Beschreiung des Objektes die beste Auslegung, gleichwohl wie diese Farbe auch anderweitig ausgelegt wurde.
Burg, Berg
Das deutsche Wort ‚Burg‘[21], oder ‚Borg‘[22] in skandinavischen Sprachen, und ‚Burh‘[23], ‚Burgh‘[24] in Alt-English, (Abweichungen ‚Borough‘,’Bury‘) ist der Begriff für eine Hochburg oder Fluchtburg, findet aber auch Verwendung als Endbezeichnung einer befestigten Siedlung. Diese leicht unterschiedlichen Begriffe sollen alle vom proto-germanischen ‚burgz‘[25] abstammen, das seinerseits seinen Ursprung aus dem proto-indoeuropäischen ‚*bʰerǵʰ-‚,[26] einem Begriff für ‚hoch, erhaben‘, ‚Hügel, Berg‘, ableitet.
Eng verwandt sind ‚*beʰrgʰ-‚,[27] ein Verb, das im Sinne von ’schützen, bergen, bewahren‘ gebraucht wurde, sowie dessen Nachfolger, das proto-germanische Verb ‚berganą‘[28] mit der gleichen Bedeutung, und weiter der proto-germanische Substantiv ‚*Bergaz‘[29], dessen Auslegung ebenfalls als ‚Hügel, Berg‘, aber auch als ‚Zuflucht, Schutz‘ verstanden wurde. Die Assoziation der beiden Definitionen ist verständlich, wenn man bedenkt, dass in der Vergangenheit höhere Erhebungen oft nicht nur Zuflucht vor Feinden, sondern auch von Naturereignissen wie Überschwemmungen und andere Risiken auf ungeschuetzter Ebene bedeuteten. Das Nachfolgewort von ‚*Bergaz‘, das deutsche Wort ‚Berg‘, behielt ursprünglich diese Doppelbedeutung, vor allem wenn es bei der Namensgebung einer befestigten Siedlung als Endbezeichnung verwendet wurde. Im Laufe der Jahrhunderte ging die Verbindung mit ‚Zuflucht‘ und ‚Schutz‘ aber allmählich verloren, und schließlich bleibt nur noch die ursprüngliche Beziehung zu einer Erhebung, eben einem ‚Berg‘.
Moderne Ableitungen von ‚Berg‘ mit der Bedeutung von ‚Schutz, Zuflucht‘ existieren allerdings auch heute noch, wie zum Beispiel in der Bezeichnung ‚Herberge‘. Aus dem Wortanfang ‚Her-‚ von ‚Herberge‘ entwickelte sich dann – ebenfalls im Sinne von ‚Schutz‘ – das Wort für ‚Heer‘ Daraus entsprang auch die englische Bezeichnung von ‚Hafen‘ – ‚harbour‘. Als Verb finden wir das proto-germanische ‚berganą‘ in den modernen deutschen Verben ‚bergen‘,’verbergen‘ und ‚beherbergen‘. Die Bedeutung von ‚*Bergaz’s‘ nahem Verwandten ‚burgz‘ und später ‚Burg‘, als Fluchtburg oder befestigtem Zufluchtsort, blieb jedoch im Wesentlichen unverändert.
Weshalb diese etymologische Exkursion in die Ursprünge nicht nur von ‚Burg‘, sondern auch ‚Berg‘? Es ist vor allem zu zeigen, wie austauschbar die Begriffe einst als Endungen bei der Benennung von Befestigungsanlagen oder befestigten Siedlungen verwendet wurden. Christina Blackie schreibt in ‚Geographical Etymology – A Dictionary of Place-Names Giving their Derivations‘, 1887[30], (Geographische Etymologie – Ein Wörterbuch von Ortsnamen mit deren Ableitungen) ‚Das Wort berg ist jedoch oft dem Namen eines Ortes oder einer Festung an Stelle von burg zugefügt, und wenn dies der Fall ist, dann heisst dies, dass der Ort auf oder in der Nähe eines Hügels oder im Zusammenhang mit einer Festung gebaut wurde.‘ Sie sagt weiter im Eintrag über ‚Burg, Burgh, usw. ‚Da diese befestigten Plätze [Orte] aus Sicherheitsgründen oft auf Anhöhen errichtet wurden sowie um es deren Insassen zu ermöglichen, einen herannahenden Feind zu sichten, wurde das Wort berg (Hügel) oft in gleicher Weise wie burg benutzt, wie in Königsberg und anderen Orten.‘ Das Deutsche Wörterbuch der Grimms kommt zu ähnlichen Schlüssen. Es sollte hier noch festgestellt werden, dass im Zuge der deutschen Ostwanderung im Mittelalter die Endsilbe -bór von vormals slawischen Orten manchmal zu -burg wurde, wie es von ehemals ‚Ratibór‘ zu ‚Ratzeburg‘ in Mecklenburg-Vorpommern vermutet wird.
Lutherstadt Wittenburg, von der im vorherigen Kapital erwähnt wurde, dass ihre Namensendung wahrscheinlich auf die weissen Sandbänke der Elbe und der nördlichen gelegen sandigen Hügel zurückzuführen sei, ist noch ein besseres Beispiel der Ausstauschbarkeit von ‚burg‘ und ‚berg‘. Die ersten vorhandenden Urkunden von 1174 nennen einen Graf Thiederich von Witburc oder Wittburc als den Burggrafen des dortigen Burgwards. (Heinrich Ch.Stier, ‚Wittenberg im Mittelalter,1855[18] ). Er wird in einiger der Literatur auch Wittenburg genannt, aber dies könnte eine spätere Anpassung sein. Immerhin wirft es die Frage auf, ob der Name durch seine Position als jene des Burggrafen kam oder den des Burgwards durch den seinigen. Er muss ein Sachse gewesen sein, weiss man etwas über seine Familie, seine Nachkommen? Ist ‚wit‘ oder ‚Witt‘ hier wie in ‚weiss‘ oder ‚Witt‘ wie in ‚Wald/Gehölz‘?
Die hellen, weisslichen Steine als Baumaterial zur Errichtung der Burg wurden bereits erwähnt, und auch dass dieser Umstand die Quelle für das ‚Witten‘ war. Was man im Zusammenhang mit -burg und -berg auch wissen muss ist, dass die Namen Wittenburg sowie Wittenberg bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts abwechselnd in gleicher Weise benutzt wurden. Das beweist nicht nur die Namensbeschreibung einer Zeichnung von 1536 aus dem Reisealbum des Pfalzgrafen Otto Heinrich, und eines anderen, hier gezeigten, aus Sebastian Münsters Cosmographia von 1544 sondern noch eine Zeichung aus Abraham Saurs ‚Theatrum Urbium‘ von 1610 und moeglicherweise noch weitere Dokumentationen jener Zeit.
Obiges weist ganz klar die Ansicht zurück, die Samuel P. Schalscheleth in seiner ‚Historischen-geographischen Beschreibung Wittenbergs und seiner Universität‘, 1795[4] , vertrat. Darin schrieb er, dass es laut seinen Kenntnissen keinen Fall in deutschen Landen gebe, wo sich die Endung -burg jemals in -berg abwandelte. Offensichtlich hatte er die Austauschbarkeit von -berg und -burg nicht in Betracht genommen. Vielleicht war ihm zu seiner Zeit auch der ursprüngliche Name des Burgwards nicht bekannt. Vielleicht wurde die Siedlung, die sich um diese Schutzburg formte von Anfang an als auf -berg endend benannt, Mag sein, dass er pedantisch war und glaubte, gelegentliche Namensvorkomnisse mit der Endung auf -burg seien Irrtümern von Uninformierten zuzuschreiben. Was auch immer Schalscheleths Gründe gewesen sein mögen, die Tatsache bleibt, dass im Fall von Wittenberg und anderen ähnlich endenden Ortsnamen, der Wechsel von einer Endung zur andern, in einer Zeit wo beide das Gleiche bedeuteten, kaum ein Grund zu Anstoss gewesen war. Dazu kommt noch das damalige Fehlen einer standartisierten Schreibweise, und so waren Variationen unausweichlich. Der Abdruck des ältesten Stadtsiegels von um 1300 (Wittenberg erhielt sein Stadtrecht 1293) ist Beweis genug. Es liest sich als ‚S[igillum] BURGENSIUM DUCIS SAXONIE IN WITGENBERGN‘
Gleichwohl auf welche Art sich später Namensattribute und Endungen entwickelten, nachdem sich in sächsicher Zeit im neuen Burgward eine Siedlung bildete oder dieser Burgward eine bereits bestehende slawische Siedlung umfasste, es können kaum Zweifel bestehen, dass das heutige Wittenberg als Burgward Witburg oder sogar Wittenburg seinen Anfang nahm, und dass die damals erstellte Burg auch zumindest mit Wittenburg und Witteburg in Niedersachsen einen ähnlichen Bezug auf ‚weissliche‘ Steine als derem Baumaterial aufweist. Weiter gibt es die Ähnlichkeiten des slawischen Hintergrund und der sächsischer Eroberung im 12. Jahrhundert mit Wittenburg in Mecklenburg, und dass beide im Zuge des 13. Jahrhunderts Stadtrechte erhielten.
Das deutsche Wort ‚Burg‘ hat im Laufe der Zeit in seinem Verständnis ebenfalls Veränderungen erfahren: Während es ursprünglich, genau wie im angelsächsischen England, in erster Linie eine befestigte Siedlung bedeutete, kam es nach und nach dazu, nur die typische mittelalterliche Burg zu beschreiben. Deren Zweck dienten vor allem als eine militärische Hochburg und als Ort der Zuflucht in Zeiten der Not, aber auch als die Beschützerin von nahe gelegenen Handelsrouten und/oder einer Siedlung, oft am Fuße eines Hügels, auf dem die Burg thronte. Interessanterweise liehen sich die Römer dieses germanische Wort in der späteren Periode des römischen Reiches und machten es zum lateinischen ‚Burgus‘[31], um kleine turmartige Befestigungsanlagen, (Burgwarte?) insbesondere in den germanischen Provinzen, zu beschreiben.
Es sollte im Zusammenhang mit -burg‘ als Siedlung auch von Interesse sein, dass deren Bewohner seit jeher als ‚Bürger‘ galten (‚Burger‘ in einigen Dialekten), was sich auf Englisch als burghers übersetzt. Die Bezeichnung ‚Bürger‘ erhielt im Lauf der Zeit den viel grösseren Stellenwert, als nur jener des Stadtbewohners. Hier kommt auch der Begriff „Bourgeoisie“ her, dessen Wurzel das französische „Bourg“ ist. Dieses Wort entstand seinerseits aus dem obgenannten ‚Burgus‘
Wir haben bereits festgestellt, dass die Übersetzung von Wittenberg in modernes hochdeutsch ‚Weissenberg‘ bedeutet und für Wittenburg ‚Weissenburg‘. Es sollten deshalb auch noch kurz die verschiedenen Weissenburg und Weissenberg erwähnt werden, die man alle nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, der Schweiz, in Österreich und Ungarn findet, und zu einer Zeit sogar in Transylvanien. Wir werden auf sie unter der Überschrift ‚Geographische Namen zurückkommen. Glücklicherweise gibt es darüber bereits einen wertvollen Beitrag durch die Erkundigungen von Ulf Beier, Lehrer-Historiker-Autor, in Weissenburg, Bayern, mit drei Artiken auf der eigenen Wiki jener Stadt über den Namen ‚Weissenburg‘. Es verwundert nicht, dass er auf eigenen Wegen zu ähnlichen Schlüssen über den Begriff ‚weiss‘ und die Benennung der verschiedenen ‚Weissenburg‘ kam, wie ich hier über Wittenburg und Wittenberg. Hier die Anmerkung mit dem Link zu seinem ersten Artikel[32].
Die nahelegendste Übersetzung von Wittenburg – Weissenburg – in modernes Englisch scheint ‚White Castle‘ zu sein, der Begriff ‚castle‘ dem lateinischen ‚Castellum‘ entlehnt. In der Tat bezeichnen einige lateinische Texte ‚Weissenburg‘ und Wittenburg als ‚Album Castrum‘. Zeitgenössisches Englisch braucht den Begriff ‚castle‘ für mittelalterliche Burgen sowie auch für spätere Bauten, die mehr zu Representationszwecken denn zur Verteidigung dienten. Die deutsche Sprache kennt diese als Schlösser (skandinavisch slot, slott). Die Bezeichnung Burg‘ beschränkt sich auf mittelalterliche Flucht- oder Hochburgen.
Die wörtliche Übersetzung von „weisser Burg“ als ‚white Castle‘ ins Englische ist richtig, wenn die beiden Worte allein stehen, aber was, wenn ‚-burg‘ am Ende einer Namensbezeichnung steht? Wäre ‚-burg‘ unter diesen Umständen nicht eher ein Hinweis auf die ursprüngliche befestigte Siedlung selbst? Sollte eine Übersetzung ins Englische dann nicht vielmehr mit ‚whit(e)-whitten‘ beginnen und mit ‚-borough‘, sogar ‚-bury‘ oder besser noch ‚-burgh‘, wie zum Beispiel ‚Edinburgh‘ enden – ‚Whittenburgh‘?
Wittenberg, oder ‚Weissenberg‘, wirft inbezug auf dessen Übersetzung auf Englisch die gleichen Fragen auf. Modernes Deutsch definiert die Ortsnamenendung ‚-berg‘ als den geographischen Begriff ‚Berg‘. ‚White Mountain‘ wäre deshalb die naheliegendste Übersetzung von ‚weissem Berg‘, in Kombination ‚Whitemountain‘, oder in loserer Übersetzung sogar ‚Whitehill‘. Wenn hingegen die alte Bedeutung von ‚berg‘ als Zuflucht in Betracht gezogen wird, von mittel-Englisch ‚bergh‘, dann würden ‚Whitebergh‘ oder noch besser ‚Whittenbergh‘ den deutschen Wurzeln am nächsten kommen.
Dieses Wort ‚Bergh‘[33] enthält verschiedene Bedeutungen als Verb und auch als Substantiv, aber alle haben einen Bezug auf ‚Zuflucht‘ und ‚Schutz‘ im ehemaligen Wortsinn einer höher gelegenen Warte, und damit in enger Beziehung zu ‚burgh‘: Während die deutsche Aussprache sich bei den Endungen von Burg und Berg klar unterscheidet, und wo sich sogar die Bedeutung der beiden verändert hat, gibt es in modernem Englisch weder in Auslegung oder Aussprache einen Unterschied zwischen burg(h) und berg(h). Es scheint wie wenn das Englische, im Gegensatz zum Deutschen, die ursprüngliche alte germanische Bedeutung beider Wörter beibehalten hätte. Wir sind damit wieder bei der proto-indoeuropäischen Wurzel beider angelangt, *bʰergʰ-[26] .
Wir sind somit auch zum Ende dieser Studie über die Etymologie der Namen Wittenburg und Wittenberg gekommen. Jeder der so benannten Orte hat seine eigene Geschichte, aber sie haben alle etwas gemeinsam in der Entwicklung und Deutung ihrer Namen.
September 2020, weiter bearbeitet October 2020
Literatur/Links
[3] Meissnische land- und Berg Chronica, Petrus Albinus, 1589, Seiten 89-90
[4] Historisch-geographische Beschreibung Wittenbergs und seiner Universität, Samuel P.Schalscheleth, 1795, Seiten 22-41
[5] Die deutschen Ortsnamen, Alexander Buttmann, 1856, pages 6-7,65,79-80,162,164
[6] Merriam-Webster Dictionary
[7] Witte (Albus) – ‚Wackerbarth‘
[10] witja, Proto-Germanischer Substantiv
[11] Historische Entwicklung der englischen Staatsverfassung, Volume 1, John Millar – Schmid 1819
[12] Disquisitio Historica de D.Martini Lutheri, II Disputatio Historica de Witteberga Saxonum, Georg W.Kirchmaier, 1750, Seiten 109-118
[13] Vom Missbrauch der Messen (From the Abuse of the Mass), Martinus Luther, 1522
[14] Geschichte der Stadt Wittenberg, A.M.Meyner, 1845, Seiten 5-11
[15] Historischer Schauplatz, Merkwürdigste Brücken, Carl Christian Schramm, 1735, Seiten 125-126
[16] Wittenberg und die umliegende Gegend, Friedrich Heinrich Leopold, 1802, Seiten 18-20
[17] Saxonia, Museum für sächsische Vaterlandskunde, Zweiter Band, Eduard Pietzsch, 1836,Seite 83
[18] Wittenberg im Mittelalter, Heinrich Christoph Gottlieb Stier, 1855, Seiten 1-3
[19] Geschichte von Mecklenburg, Otto Vitense, 1919,Seiten 12,64
[20] Digitale Monumenta Germaniae Historica
[22] Borg – Nordische Namen, antik Germanisch
[24] Burgh, Englisch – Schottisch
[25] burgz, Proto Germanicher Substantiv
[26] *bʰerǵʰ- Proto Indoeuropäischer Substantiv
[27] *bʰergʰ- Proto Indoeuropäisches Verb
[28] bergana, Proto Germanisches Verb
[29] bergaz, Proto Germanisches Substativ
[30] C. Blackie, Geographical Etymology, A Dictionary of Place Names giving their Derivations, 1887
[31] Burgus, latinisiertes germanisches Wort
[32] Der Name Weissenburg im europäischen Vergleich
[33] Bergh, mittel Englischer Substantiv