Die Wittenburg
Der Standort der Burg befindet sich in Niedersachsen im Nordwesten von Deutschland. Er liegt oberhalb eines kleinen Dorfes, etwa 20km westlich von Hildesheim. Das Dorf wurde 1974 in die nahe Kleinstadt Elze eingemeindet, was aber nichts an seinem ländlichen Charakter änderte. Es übernahm den Namen Wittenburg von der Burg, die einst auf dem Höhenzug darüber stand, dem Überbleibsel einer Eiszeitmoräne, von wo aus wichtige Heer- und Handelswege durchs Leinetal kontrolliert werden konnten. Der sanfte Höhenzug ist als ‚Vinie‘ (auch ‚Finie‘) bekannt. Beide stammen aus dem Lateinischen, die Bedeutung des ersteren mit ‚Weinberg‘ verbunden, jene des zweiten mit ‚Grenze‘. Welche könnte es gewesen sein? Ein Standort für den Weinbau soweit nördlich, oder die nördlichste Ausdehnung des Römischen Reiches während der militärischen Kampagne von Germanicus in diese Region AD 14?
Die Chronik von Wülfinghausen und Wittenburg, 1895[1] von Pastor Heinrich Stoffregen schlägt dazu noch eine andere Theorie vor: Dass sich der Name des Höhenzugs aus dem lateinischen ‘Venia’ ableite, was ‘das tägliche Gebet’ bedeute und damit auf die dort schon früher gestandene Betkapelle schliesst. Damit könnte wohl nur die ursprüngliche Kapelle gemeint sein, welche die Burg überlebte, und falls diese Deutung stimmte, auch ein Hinweis auf den Zeitraum der Namensgebung für den Höhenzug sein. Könnte ‚Finie‘ auch einfach den Ausläufer, das dortige Ende der Moräne bedeuten?
Die Ungewissheit ist jedoch nicht mit dieser ‚Finie‘ beendet. Sie umhüllt beinahe alles andere über die Burg und deren Umgebung, und ist deshalb auch Quelle von Legenden. Ein Ort im Zusammenhang mit Herzoginnen und Gräfinnen, adligen Witwen und frommen Klausnern, Raubrittern, und schliesslich einer Bruderschaft von Mönchen, nachdem auf den Ruinen der Burg ein Kloster entstand.
Zurück zum Anfang und zum Bau der Burg: Das für deren Bau benutzte Gestein war weisser Muschelkalk, weiss = ‚witt‘ im niedersächsischen Dialekt und somit die wahrscheinlichste Erklärung weshalb die Burg zur Wittenburg wurde. Diese und noch weitere Deutungen über den Ursprung des Namens werden im Kapitel ‚Etymologie‘ dieser Webseite behandelt.
Leider gibt es heute von der Burg selbst nichts mehr zu sehen. Man weiss nicht einmal, wie sie einst ausgesehen haben mag. Deren Baumaterial wurde schon vor langer Zeit für andere Zwecke verwendet, vielleicht um den Hügel zu terrassieren, wahrscheinlich auch für den Bau des nachfolgenden Klosters mit seiner grossen Kirche und dem Gemäuer, das sie umschloss.
Der Ursprung der Burg ist im Nebel der Vergangenheit verloren. Einige vermuten, dass sie schon zur Zeit der heidnischen Sachsen bestand, und ein Autor geht sogar soweit, dort schon eine Festung zur Zeit der Cherusker zu vermuten[2], als jene zu Beginn des ersten Jahrhunderts die römischen Legionen aus der Region vertrieben. Vielleicht könnte die ‚Finie‘ als Grenze , und die strategische Lage von dort Bewegungen aus allen Himmelsrichtungen zu kontrollieren, sowie archäologische Funde einer Siedlungsstelle der Römerzeit im nur 3km nordöstlich gelegenen Wülfingen[3] hiezu etwas Glaubwürdigkeit beschaffen, aber ohne überzeugende archäologischen Beweise an der Burgstelle selbst, ist dies nichts als Spekulation.
Die geschichtliche Überlieferung verbessert sich nach der fränkischen Eroberung am Ende des 8. Jahrhundert und dem Auftritt der mächtigen Adels-Sippe der Billunger[4], wovon ein Zweig später als Herzöge von Sachsen eingesetzt wurde, und die im Nordwesten Deutschlands bis ins frühe 12. Jahrhundert einflussreich waren.
Es gibt einige Andeutungen, dass die Burg für mehrere hundert Jahre im Besitz der Billunger gewesen sei, bis sie, zusammen mit der dazugehörigen Kapelle und Obedienzen von einer ‚Athelheidis ducissa‘, in der eine Billung-Erbin vermutet wird, dem Domstift zu Hildesheim[5] geschenkt wurde.
In einem Artikel in ‚Alt Hildesheim, 1981‘[6] versucht Roland Webersinn Beweise für billungsche Eigentümerschaft darin zu finden, dass die private Kapelle der Burg dem Heiligen Willehad, von 787 bis zu seinem Tod 789 Bischof von Bremen, gewidmet war und der, – so Webersinn -, ein Familienmitglied eines verwandten Zweigs der Billunger von Süddeutschland gewesen sein soll, wo laut ihm dieser Name um 800 in Erscheinung zu treten begann. Willehad als Namenspatron für Kirchen ist tatsächlich ungewöhnlich in Niedersachsen, aber das Hauptproblem mit Webersinns Behauptung ist, dass St. Willehad[7] ein in Northumbrien, im Norden des heutigen Englands, geborener Missionar war, und deshalb kein Abkömmling der Billunger gewesen sein konnte. Webersinn sieht auch eine verwandtschaftliche Beziehung zu den Billungern in St. Willehads Nachfolder, Willerich, der sein Amt nach einem Interim von mehreren Jahren, in 805 übernahm. Seine Vermutung beruht auf nichts anderem als der Namensähnlichkeit. Diese Idee ist ebenso weit hergeholt wie jene, dass der Name ‚Witegowo‘, den er als einen frühen Namen der süddeutschen Billunger/Billinger vermutet, den möglichen Ursprung für die Namensgebung der Wittenburg darstellt. Leider hat Wikipedias anderweitig aufschlussreicher Artikel Kloster Wittenburg[8] Webersinns irrtümliche Assoziationen und Spekulationen als enzyklopädische Fakten übernommen.
Es gibt bessere Andeutungen für billungsche Eigentümerschaft der Burg: Ein anderer Lokalhistoriker, Philipp Meyer, der zur Zeit als er seine Schrift verfasste Pastor in Wülfingen war, erwähnt in ‚Burg und Klause Wittenburg‘ im Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, 1922′[9], noch andere Billung Besitze in der Nachbarschaft der Wittenburg, – die Obedienz Emmerke, den Besitz bei Poppenburg, welcher Kaiser Heinrich III im Jahre 1049 dem Domstift Hildesheim schenkte, nachdem er ihm zuvor von Herzog Bernhard (Billung) überlassen wurde, dann die prefectura, die auch Osethe einschloss, das oft im Zusammenhang mit der Burg erwähnt wurde. Es könnten dazu noch mehrere andere nahe gelegenen Billung Besitztümer angefügt werden, aber es soll genügen, um festzustellen, dass die Billunger wohl ein strategisches Interesse am Besitz der Burg hatten, von der aus sie diese Besitzungen beschützen konnten.
Zurück zu St. Willehand als Namenspatron der Burgkapelle: Alles was Meyer darüber zu sagen hat ist, dass die Billunger aus irgendeinem Grunde enge Beziehungen zu Bremen pflegten, und dass dies wohl der naheliegendste Grund gewesen sei, weshalb diese St. Willehad als den Namenspatron für die Burgkapelle wählten.
Ob die neuen Eigentümer eine neue Burg auf diesem Standort bauten oder eine bereits bestehende von feindlichen sächsischen Adligen beschlagnahmten, ist nicht bekannt. Was hingegen als sichter gilt, ist dass die Kirche nur nach Ende des 8. Jahrhunderts gebaut werden konnte, nachdem das Christentum in jenen Landen Fuss gefasst hatte. Diese Tatsache lässt zumindest den Bau der Burgkapelle am frühesten zu Beginn des 9. Jahrhunderts datieren. Nichts weiteres ist über die Geschichte der Burg bekannt bis zur Zeit, nachdem diese von einer mysteriösen ‚ducissa Athelheidis‘ dem Domstift von Hildesheim gestiftet wurde. Mysteriös deshalb, weil der Name und einige vage Daten alles ist, was als Grundlage vorliegt.
Wer war die Adelheidis welche die Wittenburg dem Domstift Hildesheim schenkte?
Über das ‚Wer?‘ dieser grosszügigen Stiftering der Wittenburg mit zugehörigen Besitztümern an den Dom von Hildesheim, streiten sich die Historiker. Es wurden einige hochgeborene Damen als Anwärterinnen für diese ‚Athelheidis‘ vorgeschlagen, aber der Titel ‚Herzogin‘ zur Qualifikation schmälert den Kreis zu einer kleinen Zahl von Billunger Erbinnen für den Zeitraum von der ersten Hälfte des 11. bis kurz nach der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Es gibt Indizien für jede dieser Eilikas-Atheheidis, und jeder Chronist scheint seine eigene Favoritin zu haben. Der einzig klare Beweis für die Schenkung, und auch der älteste, ist der Nekrolog vom 26. November 1191 im Dom zu Hildesheim sowie weitere Obedienzenlisten. Die Stiftung von ‚Adelheidis de wittenburch‘ scheint zu dieser Zeit bereits bestanden zu haben, und deren Umfang ist als ‚wittenburg cum appenditiis et duodecim mansos in osethe‘ (Wittenburg mit Zubehör und 12 Hufen (Hausstellen) – etwa 94 Hektaren – in Osethe, einem nicht mehr existierenden Dorf) dokumentiert. Leider sagt die Urkunde nichts darüber, wann das Geschenk gemacht wurde. Diese Athelheidis wird auch als ‘soror nostra’[10] – unsere Schwester -, erwähnt. Könnte das einen Bezug auf eine Nonne haben, vielleicht jener Adelhaid mit der wir uns noch später beschäftigen, und die 1162 im Kloster Lamspringe starb?
Es soll hier festgestelt sein, dass die Urkunde über den Adelstitel dieser Athelheidis schweigt, was, wie wir noch herausfinden werden, später zu allen möglichen von Spekulationen führt. Meyer erwähnt noch einen weiteren Eintrag im Obedienzregister des Doms, und zwar in dessen ältestem Teil aus dem 12. und 13. Jahrhundert.[11] Es gibt etwas detailliertere Auskunft und erwähnt auch zum erstenmal die Burg – ‚castrum Wittenburgh‘. Darin ist auch das Patronat über die Burgkapelle aufgeführt, die Ländereien und Obedienzen in Osethe, und dass als Gegenleistung für die Stiftung die Observanz gewisser jährlicher Entrichtungen eingehalten und Almosen an die Armen zur Erinnerung an die ‚Athelheidis ducisse‘ gemacht werden sollten. Es ist die erste urkundliche Erwähnung des Rangs der Stifterin als jener einer Herzogin.
Meyer meint, dass die Schenkung wahrscheinlich zwischen der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und nicht zu lange nach der Hälfte des 12. Jahrhunderts gemacht wurde, und zwar aufgrund der Form der Schenkung, die Obedienzen einschloss, was laut ihm weder früher noch später praktiziert wurde.
Die vier weiblichen Billunger, oder die dritte und vierte in der folgenden Liste bereits deren askanischen[12] Abkömmlinge, und die alle auf den Namen Adelhaid, Athelheidis, (oder Eilika, Eleke, Eila, Eile, auf Platt-Deutsch) hörten und wovon laut ihm eine derselben als die letzte Besitzerin der Wittenburg vermutet wird, sind:
- Eilika, (c1005-Dez. 1059), Gemahlin von Herzog Bernhard II (c995-Juni 1059), Tochter des Markgrafen von Schweinfurt, Bayern.
- Eilika, (c1080-Jan. 1142), Tochter von Herzog Magnus von Sachsen, (c1045-Aug.1106, Enkel von Bernhard II und der letzte männliche Billunger). Sie erbte gemeinsam mit ihrer Schwester die Eigengüter ihres Vaters und könnte daher sehr gut die Stifterin sein. Ihre ältere Schwester Wulfhild heiratete Heinrich IX, Herzog von Bayern aus dem Hause der Welfen[13] Die Askanier und Welfen wurden somit zu den Erben der Billunger.
- Adelhaid (Eilika, c1100-nach 1139), Tochter des Grafen von Ballenstedt und Eilika, Tochter von Herzog Magnus on Sachsen. Eine Gräfin durch ihren Vater, aber im herzoglichen Rang durch ihre Mutter and dann wieder selbst als ihr Gemahl für kurze Zeit Herzog von Sachsen wurde.
- Adelhaid (Eilika), Tochter von Albrecht dem Bären, Markgraf von Brandenburg und für ein paar Jahre Herzog von Sachsen , Enkelin von Herzog Magnus. Sie starb 1162 als Nonne im Kloster Lamspringe.
Zur Unterstreichung des Zusammenhangs von Eilika mit Adelheid lässt Meyer auf seiner Liste selbst jene mit dem Namen Adelheid in Klammern als ‚Eilika‘ folgen. Er gibt der ersten Eilika auf der obigen Liste, der Gemahlin von Herzog Bernhard, den Vorzug, weil andere billungsche Besitze wie bei der nahen Poppenburg sowie Emmerke in der Zeit ihrer Generation ebenfalls aufgegeben wurden. Meyer hat hingegen etwas Bedenken im Zusammenhang mit dem Datum des Nekrologs und jenem des Todestages dieser Eilika, meint aber, dass beim Eintrag ein Irrtum von ein paar Tagen vorgefallen sein könnte. Weitere Bedenken sieht er in der Tatsache, dass ihr Name immer nur in der ’niederdeutschen Form‘ vorgekommen sei.
Webersinn, obschon er Meyer’s Nachforschungen und Vermutungen inbezug auf die mutmassliche Stifterin würdigt, fügt noch eine weitere Billunger Eilica hinzu: Sie muss einem anderen Zweig der Billunger zugehörig gewesen sein. Er durchforschte Beziehugen von billungschen Besitztümern und derer anderer Adligen in der Region, darunter die Esikonen.[14] Er kommt zum Schluss, dass eine Eilika, eine von drei nur weiblichen Geschwistern, die auch esikonische Ahnen hatte und in die Dynastie der Nibelungen[14] einheiratete, möglicherweise die Burg erbte und sie nach ihrem Tode, welcher in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts vermutet wird, dem Domstift von Hildesheim vermachte. Somit wird dem schon reichlich besetzten Feld noch eine fünfte Herzogin hinzugefügt. Auf der andern Seite beschränkt die Europäische Burgendankenbank[15] die Erbinnen und Stifterinnen auf entweder Adelhaid, die 1162 in Lamspringe verstarb oder Eilika, der Gemahlin von Bernhard II, die ein Jahrhundert früher, 1059 starb.
Meyers Behauptung, dass ‚Adelheid(haid) im niederdeutschen Dialekt ‚Eilika/Eilica‘ sein soll, wurde nicht nur von Webersinn unkritisch akzeptiert, aber auch von anderen Chronisten nach ihm und auch von mir selbst in einer früheren Fassung dieses Beitrags. Der Zusammenhang der Beiden widersteht jedoch näherer Prüfung nicht, wie mir ein Professor für mittelalterliche deutsche Geschichte freundlicherweise mitteilte. Obschon ‚Eleke‘ oder ‚Elke‘ als niederdeutsche Diminutive von ‚Adelheid‘ durch ‚Adelke‘ zu ‚Elke‘ als solche akzeptiert sind, kommt auf der anderen Seite der Name ‚Eilika‘ aus ‚Heilikswint‘ or ‚Eilsvit‘ und hat mit ‚Adelheid‘ nichts gemeinsam. Die Verwirrung kam wahrscheinlich durch die Aehnlichkeit des Namens ‚Eilika‘ mit den niederdeutschen Diminutiven von ‚Adelheid‘ und dessen Variationen zustande, wie dies anhand Meyers obiger Auswahl von Beispielen zu ersehen ist. Dies rückt auch Meyers Bemerkung über die exklusive Benutzung des Namens ‚Eilika‘ von Eilika von Schweinfurt in ein anderes Licht: Ihr Vorname war kein Diminutiv. Es ist deshalb angebracht, zum Namen ‚Adelhaid‘ oder besser ‚Athelheidis‘, wie er in den Obedienzregisters des Doms zu Hildesheim erscheint, zurückzukehren und anzunehmen, dass der Schreiber den Namen damals so niedergeschrieben hatte, wie er ihm mitgeteilt wurde, und wie er ihn auch im Umlauf kannte. Dies würde dann entweder Nr. 3 oder Nr. 4 der oben genannten Erbinnen zu den wahrscheinlichsten machen, die Burg und anderen Besitztümer dem Dom zu Hildesheim vermacht zu haben, aber was Meyer damals schrieb, stimmt auch heute noch: ‚Eine sichere Entscheidung ist nicht möglich. ‚Nur soviel ist wahrscheinlich, dass die Wittenburg durch eine dieser Frauen in die Hand des Hildesheimer Domkapitels kam, und dass sie vormals Billungischer Besitz gewesen ist‘. Das Ausschliessen der ‚Eilikas/Eilicas‘ von Meyers Liste verringt lediglich den Kreis der möglichen Stifterinnen.
Genauso wenig weiss man über die Gründe, weshalb die Billunger deren Eigengüter in der Region aufgaben, was die Tür zu allerlei Spekulationen von Historikern öffnet. Könnte es einem Wunsch entstammt haben, ihre Besitztümer anderswo zu konsolidieren, vielleicht aus der Sicht der relativ kurzen Zeitspanne seit derer Besitznahme und der Isolation von andern billungschen Gütern? Webersinns Kommentare aufgrund einer Liste von Reinhard Wenskus[14] über mittelalterliche Besitztümer alt-etablierter Adelsfamilien in Ostfalen ist in dieser Beziehung interessant.
Die Überlieferung ist nicht weniger spärlich was die Funktion der Burg anbetrifft, nachdem sie in den Besitz der Chorherren von Hildesheim kam. Seit die nur 9 km nordwestlich gelegene Poppenburg zusehends an Bedeutung gewann, ist es logisch darauf zu schliessen, dass dieser von nun an mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und die Wittenburg mit der Zeit überflüssig wurde. Ist sie dadurch Witwensitz einer lokalen Adelsfamilie, der Bock von Wülfingen geworden, wie dies einer deren Abkömmling meinte? Pastor Heinrich Stoffregen entdeckt in seiner ‚Chronik von Wülfinghausen und Wittenburg‘ noch eine andere dort residierende Witwe und Stifterin der Burg: Eine Tochter von Wulbrand I, Graf von Loccum-Hallermund, – Adelhaid von Wassel, deren erster Gemahl die Position des ‚Vizedominus‘, – eine Art von weltlicher Beamtenschaft – im Dom zu Hildesheim innehatte und zwischen 1176 und 1178 verstarb, Sie heiratete danach, in 1180 oder noch zuvor, Graf Günther von Kefernburg. Es ist zumindest möglich, dass sie nach ihrer ersten Verwitwung die Burg 1177 bewohnte, wie dies von verschiedenen Chronisten gesagt wird, aber daraus folgt noch nicht, dass sie die Besitzerin der Burg und der andern Gütern war, und sie diese nach dem Tod ihres ersten Gemahls an das Domkapitel gestiftet hätte.
Selbst Phlipp Meyer zeigt sich allerdings vorerst geneigt, in dieser Adelhaid von Wassel aufgrund von Besitzungen in Wittenburg und Osethe, die sie 1163 und schon vorher als ‚Althelheidis comitissa de Wasle‘ dem Kloster Loccum schenkte, und welche von Papst Gregor VIII um 1187 bestätigt wurden, eine mögliche Stifterin zu erkennen. Den Hallermund/Wassels gehörten tatsächlich umfängliche Besitztümer in jener Gegend. Am Ende findet Meyer aber einige Schwierigkeiten damit, nicht zuletzt wegen des damals schon seit langem anwährenden Versuch des Domstiftes, sich von den Vogteien, die seine Güter verwalteten, zu lösen. Man darf somit bezweifeln, dass sich die Chorherren von Hildesheim in neue Abmachungen dieser Art eingelassen hätten, nur um sie dann 1221 mit hohen Kosten wieder zurückzukaufen.
Es gibt hingegen keinen Grund, weshalb Adelhaid von Wassel – vielleicht sogar mit ihrem Gemahl in Anbetracht seiner Stellung am Dom – nicht in der Burg Wohnsitz gehabt hätte, wenn vielleicht auch nur zeitweise. Aufgrund neuerem ihm zugänglichen Urkundenmaterials[17], kam Meyer aber zum Schluss, sie als mögliche Stifterin auszuschliesssen. Ein wichiger Punkt für ihn war dabei auch ihr Titel – ‚comitissa‘ – Gräfin. In dieser Hinsicht berief er sich auf das Obedienzenregister des Domes, worin die Stifterin als eine ‚ducissa‘ – Herzogin, identifiziert wird. Stoffregen und anderen Chronisten war vielleicht nur der schon oben erwähnte Nekrolog bekannt, welcher lediglichr eine ‚Adelheid von Wittenburch‘ nennt, und dadurch fast jede adlige Erbin mit dem Namen Adelheid und einer Beziehung zu Osethe-Wittenburg einbezog, als mögliche Stifterin betrachtet zu werden. Meyer bringt schlussendlich noch einen weiteren Grund an, und zwar über die Grösse und die Art der Schenkung – dass diese einer Herzogin damals viel besser zugestanden hätte als einer Gräfin.
Dies wiederlegt zwei andere Auslegungen, jene in der Chronik von Wülfinghausen und Wittenburg und die ein Jahr später in der Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsiche Kirchengeschichte, 1896,[18] gemachten. Die Autoren des Artikels in der ‚Kirchengeschichte‘ hatten dabei Stoffregen sogar für seine Vorsicht kritisiert, Adelheid von Wassel nicht bedenkenlos als die Stifterin zu akzeptieren und behaupteten, dafür in den Nekrologien Beweis gefunden zu haben. Interessanterweise erstreckte sich diese Kritik nicht auf Stoffregens weitere Spekulation, dass diese Adelheid ‚aufgrund anderer Quellen‘ auch eine Witwe von Graf Berengar von Poppenburg hätte sein können. Die Zeitschrift-Autoren führten Johannes Letzner, Pastor und Chronist im 16. Jahrhundert, als deren Zeugen vor. Letzner musste sich aber auf die Nekrologien des Klosters Amelungsborn bezogen haben, die in der Tat eine ‚Odihildis comitissa‘ erwähnen, aber nicht die, welche die Artikelschreiber glaubten es zu sein. Meyer erwähnt als Fussnote in ‚Burg und Klause Wittenburg‘, dass diese wahrscheinlich eine Gräfin von Poppenburg war, jene die Letzner als ‚Adela‘, Witwe von Graf Berengar von Poppenburg[19], identifiziert, und die auch Stoffregen nennt. Meyer fügt bei, dass diese 1177 noch nicht hätte verwitwet sein können, wie von Letzner angegeben, weil ihr Gemahl Graf Berengar zu dieser Zeit noch lebte. Weiter stellt sich die Frage, wo die Beweise zu finden sind, nach denen laut den in der 1896 Zeitschrift für niedersächsische Kirchengeschichte erwähnten Nekrologien ‚die Übergabe der Feste Wittenburg durch die Gräfin Adelheid von Wassel 1177‘ stattfand? Um noch etwas Kontext in die Familien Zusammenhänge der damaligen Zeit zu schaffen, etwas das möglicherweise auch hätte zu späterer Verwirrung beitragen können: Berengar von Poppenburg war mit der Schwester von Graf Konrad II von Wassel, Adelhaid’s Gemahl, verheiratet, und so waren die Grafenhäuser verschwägert. Konrads Vater, Graf Bernhard war ebenfalls Vizedominus von Hildesheim. und gewisse Quellen wollen sogar wissen, dass Konrad auch ein Schwiegerbruder von Bischof Hermann von Hildesheim war.
Die Wittenburg muss offenbar ein bevorzugter Wohnsitz für adlige Witwen gewesen sein, zumindest wenn man den verschiedenen Chronisten glaubt, denn es sollen noch derer mehr ihre letzten Lebensjahre dort verbracht haben. Die Bock von Wülfingen, eine Familie mit Besitz in Wülfingen und dann auch in Poppenburg, wurden schon erwähnt. Urkundlich wurden sie das erste Mal in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts erfasst, so die ‚Böcke‘, wie sie genannt wurden, und welche im 19. Jahrhunderten die Behauptung vorbrachten, dass die Wittenburg als deren Witwensitz diente, hätten dies nicht vor die Ersterwähnung datieren können. Dies könnte viel eher für das 13. Jahhundert zutreffen, und würde damit auch deren Annahme, dass der erste Namensteil der Burg eine Ableitung von ‚Witwe‘ sei, widerlegen (siehe Kapitel Etymologie), weil die Burg zu dieser Zeit ihren Namen bereits hatte.
Eine weitere mutmassliche Witwe mit Wohnsitz auf der Wittenburg soll Oda von Hohenbüchen, die Gemahlin von Graf Wittekind[2] von Poppenburg gewesen sein. Er war ein Enkel von Berengars Bruder Friedrich I. Sie dürfte in der frühen zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Witwe geworden sein. Einige wollen in ihr auch die Stifterin von Burg und den anderen Besitztümern sehen, obschon die Urkunden klar sind, dass das Domstift damals schon lange im Besitz dieser Güter war. Stoffregen hatte recht, als er in seinen Ausführungen im Zusammenhang mit Adelheid von Wassel warnte, dass vieles davon auf Legenden beruhe. Einige der anderen Mutmassungen scheinen hingegen schon eher der Fantasie entsprungen zu sein.
Es scheint, dass Lüntzel der erste Chronist war, der 1858 in seiner Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim[10] über die Existenz und die Stiftung der ‚Herzogin Adelheid‘ schrieb, und es brauchte bis zum Urkundenbuch des Domstifts von Hildesheim[17] und Philipp Meyers Artikel im Jahrbuch der Geschichte von Niedersachsen in 1922, dass diese Spur intensiver verfolgt wurde. Frühere Autoren wie Ernst Spangenberg in einem Beitrag zum ‚Neuen Vaterländischen Archiv des Königreichs Hannover, 1823, gaben entweder zu, dass sie über die früheren Besitzer der Burg keine Ahnung hatten, oder sie zogen Schlüsse aus den spärlichen Informationen, die ihnen zugänglich waren, die dann oft von denen, die nach ihnen kamen, als Fundamente zum Aufbau eigener Mutmassungen dienten. Aufnahme und Wiederholung solcher Erzählungen führten später dazu, daraus Gewissheit zu erzeugen, wo Gewissheit in der Tat sehr gering ist, und das erzeugt auch einen Vorbehalt inbezug auf die ‚Athelheidis ducissa‘: Ihr Herzogs-Titel erscheint nur im Obedienzenregister des Doms zu Hildesheim des späten 12. und frühen 13. Jahrhundert und ist der einzige Beweis, der sie als eine Herzogin bezeichnet. Philipp Meyer liess ebenfalls einen Kampf mit der Spärlichkeit des vorhandenen Materials erkennen, indem er in seiner Schrift fast einen indirekten Zweifel aufkommen lässt, als er schrieb, dass die Bezeichnung als ‚ducissa‘ für eine ‚comitissa‘ aus den gräflichen Häusern Hallermund, Wassel und Kefernberg am Ende des 12. Jahrhunderts ganz aussergewöhnlich gewesen wäre‘. Er wäre zweifellos auch erleichtert gewesen, den Titel der Stifterin durch zusätzliche Quellen bestätigt zu haben. Was sind die heutigen Chancen, , dass uns eine solch zusätzliche Bestätigung nach mehr als acht Jahrhunderten noch zugänglich werden sollte? Weiter stellt sich die Frage, welche der Damen mit dem Namen ‚Adelhaid‘ und dem Titel ‚Herzogin‘ es sein könnten? Adelhaid, (c1100, gestorben nach 1139), Tochter von Graf Otto von Ballenstedt und Enkelin von Herzog Magnus, oder Adelhaid, Tochter von Albert dem Bären, Ur-Enkelin von Herzog Magnus, – die Letztere jene Adelhaid die 1162 im Kloster Lamspringe verstarb?Könnte sie diejenige sein, welche im Nekrolog von 1191 als ’soror nostra‘ (unsere Schwester) bezeichnet wird und somit den besten Anspruch hat, als die Stifterin betrachtet zu werden? Ungewissheit besteht weiterhin.
Von frommen Einsiedlern und Raubrittern
Ob die Burg zu einem Zeitpunkt Witwensitz wurde oder nicht, die Überlieferung eines dort im Annex der Burgkapelle wohnenden Klausners ist bestätigt. Er zog durch sein Lehren und seine guten Werke noch ein paar weitere frommen Seelen zu sich, woraus sich dann eine religiöse Bruderschaft bildete, die den Grundstock für das 1328 gegründete Augustinerkloster bildetet.
Nach der Klostergründung entwickelte sich weitere Geschichten über die vorklösterliche Zeit der Burg: Dass sie eine Burg gefährlicher Raubritter gewesen wäre, ein Schrecken für alle Reisenden, die durch ihr Gebiet kamen. Es begann mit Subprior Buschs ‚Liber de reformation monasteriorum‘. Busch war Subprior des Klosters in 1435, und nach einem Unterbruch auch wieder einige Jahre danach. Stoffregen übernahm die Geschichten im Kapitel ‚Wittenburg als Ritterburg‘ in seine Chronik und machte sie damit einer weiteren Leserschaft zugänglich. Meyer weist diese jedoch als die typischen Geschichten zurück, die sich nach jeder Klostergründung zu verbreiten begannen: Dass der Standort des Klosters früher einer des Bösen gewesen sei. Auf den ersten Blick ist es in der Tat schwierig, die Existenz von brutalen Raubrittern mit jenen der anderen Ueberlieferungen zu vereinen: Dass die Burg hochgeborenen Damen als Witwensitz gedient hätte und gleichzeitig auch als Herberge von frommen Klausern in der Burgkapelle, und weiter zu glauben, dass die nahe Poppenburg und die Chorherren in Hildesheim solch flagrante Verletzungen ihrer Interessen und der freien Fahrt auf Handelswegen geduldet hätten.
Wenn es nur so einfach wäre! H.A. Lüntzels ‚Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, 1858[20], widmet ein ganzes Kapitel dem ‚Kirchenvogt‘. Diese betätigten sich als Verwalter von kirchlichen Liegenschaften und führten auch die niedrige Gerichtsbarkeit aus, was Geistlichen aufgrund derem Stand und bestimmt auch, weil diese dazu nicht in der Lage waren, nach einem Edikt von Kaiser Karl dem Grossen vorenthalten wurde. Diese ursprünglich sinnvolle Aufteilung von Geistlichem und Weltlichen begann im 12. Jahrhundert aus den Fugen zu geraten.
Der Stand der Vögte war laut Lüntzel nicht der gleiche wie jener der feudalen Lehnsmannen, und deren Ämter waren deshalb nicht als vererbbar eingestuft. Mit der Zeit hatte sich dieser Unterschied jedoch zusichtlich verwaschen, die Vogteien wurden zur Familienangelegenheit und viele Vögte, anstatt ihr Amt als ‚milde Beschützer von kirchlichen Besitztümern‘ ernst zu nehmen, begannen zunehmend mehr Macht an sich zu reissen und sich bald auf eigene Rechnung wie die schlimmsten Feudalherren aufzuführen. Bischof Adelog von Hildesheim schilderte die Übergriffe, und nach ihm sollen den Bauern der kirchlichen Güter immer mehr Abgaben und Dienstleistungen abgezwängt worden sein. Auch schämten sich die Vögte nicht, von der Kirche selbst zu stehlen – was wir heute mit Unterschlagung bezeichnen würden. Es braucht nicht viel, zu vermuten, dass solche Vögte dabei auch einen beachtlichen Zoll für die eigene Kasse von den durch ihr Machtgebiet durchziehenden Handelskaravanen abforderten. Lüntzel erzählt uns, dass sich der Bischof von Hildesheim in dieser Hinsicht vorallem über die Leine-Furt bei der Poppenburg, welche damals, wie die Wittenburg auch Besitz des Domstiftes war, Sorgen machte.
Es wurde durch das gesamte 12. Jahrhundert versucht, die Kirche von diesen Missbräuchen und ausbeuterischen Abmachungen zu befreien. Kaiser Friedrich I Barbarossa war sich dabei mit der Kirche einig, aber kaiserliche Macht reichte nur soweit, und die Kanzlei arbeitete nur so schnell. Meyer erzählt uns, dass der Domstift von Hildesheim dem Kaiser 1180 noch einmal ein Ersuchen erstellte, aber dass der Prozess sich bis weit ins 13. Jahrhundert erstreckte. Nur dann soll es unter grossen Opfern ein Ende gefunden haben. Im Klartext: Es waren grosse Auszahlungen erforderlich, bis die Vögte ihre lukrativen Ämter aufgaben, oder vielleicht besser gesagt, deren ‚Schutzgelderpressung‘.
Es kann durchaus möglich gewesen sein, dass während sich all dies abspielte, die Wittenburg auch als Witwensitz gedient haben könnte, und die Burgkapelle mit Annex als eine Herberge für fromme Klausner. Letzteres vielleicht nicht nur um die Chorherren zu beschwichtigen, aber auch um ein Bild von christlcher Tugend aufzuzeigen. Anderseits braucht dies im Hinblick auf die langen Zeitspannen unter Betracht nicht alles gleichzeitig stattgefunden zu haben.
Wenn Bischof und die Chorherren von Hildesheim diese Vögte als ‚lästig‘ empfanden, kann man sich etwa ausmalen, wie dies die Lokalbevölkerung empfunden habe muss. So kann die Legende von den ‚Raubrittern‘ entstanden sein: Die ‚Raubritter‘ von Wittenburg könnten somit etwas mit jenen der Witteburg flussabwärts von Bremen gemeinsam gehabt haben: Soviel wie möglich von den in ihrem Machtbereich Lebenden oder Durchreisenden zu erpressen.
Wer waren diese Vögte? Leider wissen wir fast nichts über sie. Könnte eine Beziehung zu einigen der Familien bestanden haben, die zur Burg nach derer Aufgabe von den Billungern eine Verbundheit hatten? Chronist Stoffregen nennt ein Dokument von 1221 in welchem Bischof Siegfried von Hildesheim einen Ritter namens Arnold von Wittenburg erwähnt. Stoffregen nimmt sich dann die literarische Freiheit eines Poeten am Ende seiner Chronik, wo die Geschichte von Burg und Kloster in leichtem Vers wiedererzählt wird, und macht diesen Arnold prompt zu einem räuberischen Grafen. Damit sorgte er leider für weitere Missverständnisse, denn es gab schon früher unfundierte Spekulationen über eine dortige Grafschaft Wittenburg. Ein anderer Chronist, Nicolaus Heutger, erwähnt den Bischof die ‚advocatia minor in Wittenburg super allodium et duodecim areas‘ sowie die Vogtei über 12 Hufen von diesem Arnold sowie Ritter Siegfried von Elze und deren Lehnherr, dem Grafen von Spiegelberg in 1221 erworben zu haben[21].
Dieser Graf von Spiegelberg war übrigens niemand anders als Bernhard, Graf von Poppenburg, der seit der zweiten Dekade des 13. Jahrhunderts unter diesem Namen zu erscheinen beginnt. Wittenburg-Osethe war nicht die einzige Vogtei, die er für schnelles Geld liquidierte, und die Erklärung ist im Dritten Kreuzzug von 1189-92 zu suchen. Sein Vater Albert, ein Teilnehmer and diesem Kreuzzug unter Kaiser Friedrich Barbarossa, hatte schon vorher seine Interessen in andern Gütern verkauft, um die Kosten des Unternehmens zu finanzieren. Natürlich hoffte er, seine Investition würde sich bezahlbar machen, um nach dem gemeinsamen Sieg über die ‚Ungläubigen‘ im Heiligen Land mit reicher Beute heimzukehren. Es entwickelte sich aber alles anders. Graf Albert, der einige Jahre im Levant verblieb, und auch im Kreuzzug von 1197 teilnahm, verstarb auf der Rückreise zu seinen Ländereien und hinterliess seinen Sohn und Erben Bernhard in schwierigen finanziellen Umständen. Es war eine Zeit, in welcher durch Teilnahme an den Kreuzzügen verarmte Adlige sich nach jeder Einnahmensquelle umsahen, und ja -, einige letzlich zu Raub und Plünderung griffen und zu ‚Raubrittern‘ wurden.
Sollten die Raubritter der Wittenburg so wie beschrieben existiert haben, bedeuteten sie zweifellos kein ernsthaftes Ärgernis für andere Lokalgewaltigen, oder ihre Burg wäre dem Erdboden gleichgemacht worden, wie das vielfach anderswo geschah. Philipp Meyer meint, dass die Burg später einfach dem Verfall preisgegeben wurde. Die Burgwälle und Mauern mögen vielleicht zum Bau des Klosters und seiner Wallfahrtskirche und anderer Gebäude verwendet worden sein. Ein etwas ereignisloses Ende der Burg Wittenburg und genauso sehr im Nebel der Geschichte und der Legenden wie deren Beginn und die Jahrhunderte während denen sie auf der Finie thronte.
Das Kloster Wittenburg
Nicolaus Heutger war ein respektierter Theologe und Historiker in Niedersachsen. Sein Lebenswerk war die geschichtliche Erforschung der Klöster und Kirchen der Region, und er produzierte somit eine entsprechende Anzahl von Veröffentlichungen, darunter auch ein Erinnerungsartikel zum 500. Jahrestag der Klosterkirche Wittenburg,[22]der auch in seinem posthum erschienen Buch, ‚Niedersächsische Ordenshäuser und Stifte‘ erschienen ist. Dies, und Lüntzel’s ‚Geschichte der Diozöse und Stadt Hildesheim[9] ‚ sowie Stoffregen’s ‚Chronik von Wülfinghausen und Wittenburg‘[1] trugen als Basis viel zur nachfolgenden Zusammenfassung bei.
Man weiss, dass 1297 um die Burgkapelle einige Klausner ein frommes Dasein lebten und gute Werke vollbrachten, anfangs unter dem Patronat des Heiligen Willehad, und später unter dem der Heiligen Jungfrau. Bischof Heinrich II von Hildesheim anerkannte den ausgezeichneten Ruf der kleinen Gemeinschaft von damals sechs Brüdern und erlaubte ihnen 1316 gewisse Privilegien. Der Erfolg der kleinen Bruderschaft, auch in weltlicher Hinsicht durch allmähliches Zulegen an landwirtschaftlichen Gütern und entsprechender Verbesserung der oekonomischen Grundlagen der Gemeinschaft, rief jedoch nicht überall Beifall hervor. Philipp Meyer schreibt, dass gewisse Kreise des Klerikus in der Weise in der die Bruderschaft organisiert war, Ketzerei witterten. Das war eine ernste Sache nach dem um 1311 von Papst Clement V einberufenen Konzil von Vienne in Frankreich, wo gerade solches in pan-europäischem Rahmen diskutiert wurde. Es war mitunter der Grund, und auch um etwelchen zukünftigen Schwierigkeiten entgegenzutreten, dass diese sich grundsätzlich selbst regulierende Bruderschaft eine traditionellere hierarchische Form annahm, indem die Brüder auf Rat von Bischof und Domstift von Hildesheim 1328 zu Augustiner Chorherren wurden. Es war der Anfang des Klosters Wittenburg.
Das Kloster wurde nie ein grosses, die maximale Anzahl der Mönche, inklusive Prior, überstieg nie acht, aber die Zahl der Laienbüder war erheblich grösser, um den landwirtschaftlichen Betrieb des Klosters zu führen. Sein guter Ruf liessen seine Besitztümer durch das 14. Jahrhundert weiter anwachsen, hauptsächlich durch Schenkungen von reichen Adligen in seiner Umgebung. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde es auch zum ‚Reformkloster‘. Der Ausdruck ‚Reform‘ darf hier nicht mit Martin Luther’s Reformation fast ein Jahrhundert später verwechselt werden. Diese frühe Reformbewegung kam aus der Windesheimer[23] Gemeinschaft von den Niederlanden, einem Zweig der Augustiner, und deren hauptsächlichem Reformator, Johannes Busch[24]. Er war die treibende Kraft in der Reformierung niedersächsischer Klöster von seiner Basis in Wittenburg, die er dort 1435 etablierte, nachdem er vom Konzil in Basel beauftragt wurde, die Klöster in in diesem Teil Deutschlands zu reformieren. Es war das erste Kloster in Niedersachsen welches das Windesheimer Reformbestreben akzeptierte, nicht weil es selbst dringend Reform verlangte, sondern im Gegenteil, weil Kloster Wittenburg die Gelübde befolgte auf denen es gegründet wurde. Dadurch zog es auch Gelehrte wie Dietrich Engelus[25] zu sich, der neben vielen anderen Werken um 1431 auch eine Welt-Chronik – eine Enzyklopädie – schrieb. Leider lebte dieses ‚Lumen Saxoniae‘, oder ‚Licht von Sachsen‘, wie er zu seiner Zeit genannt wurde, dort nur etwa ein Jahr. Er starb in 1434 und ist in der Kirche beigesetzt. Viele von den Manuskripten, die er mit sich ins Kloster brachte, sind jetzt in der Landesbibliothek von Niedersachsen.
Die Reformen wurden als notwendig ersehen, weil sich viele Klöster im Laufe der Zeit zuviel in ‚weltlichen‘ Belangen verloren, so dass sie gegenüber dem, was sie ursprünglich sein sollten, fast unkenntlich wurden. H.A. Lützel gibt uns in seiner ‚Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim‘[26] einen Eindruck über die Zustände. Sie reichten von unordentlichem Verhalten, Trunkenheit und losen Sitten zu Habgier und mehr. Es ist bezeugt, dass Johannes Busch beim Eintritt in eines der Klöster mit Drohungen empfangen wurde und um sein Leben fürchten musste. Ablasshandel um den Reichtum des Klosters und dabei auch der Kirche zu vermehren, soll nach Heutger übrigens auch für eine Zeit die ‚rohe Seite‘ der Frömmigkeit in Wittenburg aufgezeigt haben. Kein Wunder, dass die Reformen auch die Unterstützung der mächtigen Fürsten von Calenberg, der jüngeren Linie der Welfen, und den Beschützern von Wittenburg, hatte.
Johannes Busch führte seine Reformen der niedersächsischen Klöster von 1437-1439 als Subprior von Wittenburg durch. Er kehrte 1454 nochmals für mehrere Jahre hierher zurück um die Nonnenklöster des Fürstentums Calenberg zu reformieren. Ein bemerkenswerter Nachfolger war Stephan von Möllenbeck, der sich während seiner langen Amtszeit von 1491 bis zu seinem Tod 1525 auch als ein begabter Ökonom erweisen sollte. Während sich andere Klöster gezwungen sahen, Besitztümer zu veräussern um zu überleben, war es ihm möglich, Wittenburgs Besitze durch seinen ausgezeichneten Ruf zu vergrössern. Könnte dabei vielleicht auch die von Heutger erwähnte ‚rohe Seite der Frömmigkeit‘ eine Rolle gespielt haben? Wie dem auch sei, Prior Stephan konnte 1497 mit dem grossen Projekt des Baus der Wallfahrtskirche beginnen, die auch heute noch das Dorf vom Höhenzug überschaut.
Wittenburg scheint auch die schwierigen Zeiten während der Hildesheimer Stiftsfehde[27] ziemlich gut überstanden zu haben. Die Fehde dauerte von 1519-23 und war ein Konflikt zwischen dem Fürstbistum von Hildesheim und den Fürstentümern von Braunschweig-Wolfenbüttel und Calenberg. Die Hildesheimer Bischöfe gegen die Welfen. Es handelte sich dabei um die vom Hildesheimer Bischof verlangte Rückgabe von an den Stiftsadel verpfändeten Güter sowie von Welfen an das Hochstift verpfändete Gebiete und ging damit vorallem um Einnahmequellen. Wie jeder Waffenausgang, führte auch dieser zu verwüsteten Dörfern und Landstrichen, aber nichts ist in dieser Beziehung über Wittenburg berichtet. Der Vertrag von Quedlinburg schlug dann Wittenburg gänzlich zum Fürstentum Calenberg.
Noch viel mehr sollte sich nach Prior Stephans Tod ändern, nachdem Martin Luthers Reformation in Wittenberg bereits ihre Wellen durch ganz Deutschand und andere Teile Europas schlug. Die Herzogin Elisabeth, Regentin des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg-Calenberg während der Zeit als ihr Sohn Erich noch unmündig war, hatte sich zu Luthers Reformation bekehrt. Das ermutigte auch die Mönche von Wittenburg die Lehren der Reformation anzunehmen. Vielleicht gestaltete sich dies auch etwas leichter durch den Eifer. der im vorherigen Jahrhundert von dorther kam, um verwahrloste Klöster zu reformieren. Das klösterliche Leben und die Anziehungskraft von Klöstern begannen sich jedoch von nun an unwiderruflich zu ändern, und führte damit auch zu einem wirtschaftlichen Niedergang. Es wurde noch schlimmer, als den Klosterbrüdern 1553 ein herzoglicher Beamter als Verwalter aufgezwungen wurde. Alles was der tat, war es in den zehn Jahren seiner Amtszeit herunterzuwirtschaften, so dass Herzog Erich das ganze Kloster 1564 an einen Moritz Friese, herzoglichem Rat, für eine damals enorme Summe mit Wiederkaufrecht verpfändete. Friese wurde Drost – Verwalter – von Wittenburg, ein Amt, das er scheinbar bis zu seinem Tod 1584 inne hatte.
Schon vor der Verpfändung verliess ein Mönch nach dem andern das immer unwirtschaftlicher werdende Kloster, bis dort 1564 nur noch der Prior und ein einziger Mönch lebten, und endlich, 1588, in Wittenburg alles klösterliche Leben erloschen war. Von da ging es nicht mehr lange, bis das verlassene Kloster an den Staat überging, besser gesagt Besitz des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg-Calenberg wurde. Es gab 1629 den Versuch von einigen Augustiner Chorherren das Kloster wieder dem Katholizismus zurück zu gewinnen, aber der Plan scheiterte an den politischen Verhältnissen während des Dreissigjährigen Krieges. Der protestantische Herzog Christian Louis wusste sich noch einiger weiterer Anfechtungen seiner Eigentümerschaft zu erwehren.
Wittenburg als Amtssitz des Fürstentums Calenberg
Der hier gezeigte Merian Kupferstich von Wittenborg in 1654 spricht nicht mehr von einem Kloster, sondern vom ‚Fürstlich Calenbergisch Amtshauss‘. Ausser der spätgotischen Kirche stehen keine der auf dem Bild gezeigten klösterlichen Gebäude mehr. Was geschah mit ihnen? Keiner der genannten Chronisten schreibt darüber.
Stoffregen erwähnt den beachtlichen Verlust ‚im grossen Feuer von 1741‘ von Wertschriften in der Form von Obligation, welche dem Amt Wittenburg von umliegenden Städten geschuldet wurden. Hatte diese Feuersbrunst alle Gebäude zerstört? Man denkt, dass solches einer Notiz wert gewesen sein dürfte, aber nichts. Die Chronik von Wülfinghausen und Wittenburg ist anderweitig sehr all-umfassend über die Amtsgeschäfte im Auftrag des Souveräns, die finanziellen Auf und Ab, die Namen der verschiedenen Droste-Verwalter, die Eigentümlichkeiten der niederen Gerichtsbarkeit, Diskussionen über Bauerngüter, alt wie neu nach einer Landreform im späten 18. Jahrhundert. Weiter schreibt Stoffregen über die Mühlen, Waldbewirtschaftung und – dass dort ein ausgezeichnetes Bier gebraut wurde, bis die Brauerei gegen Ende des 19. Jahrhunderts abbrannte. Vielleicht wurden die nach dem Feuer noch verbleibenden Klostergebäude nach und nach abgetragen und alles noch brauchbare anderweitig nutzbar gemacht, wie dies seinerzeit wahrscheinlich auch mit der ehemaligen Burg geschah.
Wittenburg wird königliche Domäne
In dieser Zeit wurde Wittenburg eine königliche Domäne. Sie wurde durch den Verkauf von Land an Neubauer erheblich verkleinert und diente fortan als eine landwirtschaftliche Versuchsanstalt und eine Vorzeige-Gutswirtschaft unter Georg III, König von Grossbritannien und Irland, dessen deutsche Stammesländer neben anderen das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg und Kurfürstentum Hannover einschlossen. Diese wurden nach dem Wiener Kongress von 1814 zum Königreich Hannover, das mit Grossbritannien bis zum Tod von William IV in Personalunion stand, worauf diese Union endete.
Der letzte König von Hannover, Georg V, liess 1858 auf dem Schulenburg-Berg, nicht weit von der ‚Finie‘, ein Märchenschloss im neugotischen Stil als Geburtstagsgeschenk für seine Gemahlin Königin Marie bauen. Das Schloss wurde ‚Marienburg‘ genannt, und es brauchte viele Jahre bis es vollendet war. Nur die besten Architekten, Handwerker und Künstler wurden herbeigezogen, um dass Schloss zu einem Monument der langen Geschichte und des Vermächtnisses der Welfenherrscher zu machen. Leider konnte sich das königliche Paar nie zusammen des Schlosses erfreuen, weil das Bauen durch den Krieg mit Preussen unterbrochen wurde, den Hannover 1866 als Verbündeter Österreichs verlor. Das Königreich Hannover wurde ein Teil von Preussen, und der König ging ins Exil nach Österreich. Die Königin konnte wenigstens für einige Zeit im nun fast vollendeten Schloss verweilen, wurde dann aber gezwungen, dem König zu folgen.
Dieser Krieg wurde woanders gefochten und hatte auf Wittenburg und dessen Umgebung keinen direkten Impakt. Das muss in früheren Kriegen anders gewesen sein, wenn wir aus der Geschichte des nahen Hildesheim schliessen. Wenn diese Stadt durch Belagerung litt und den darauf folgenden Orgien von Gewalttaten, Raub und Brandschanzung, wie während des Dreissigjährigen Krieges in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dann kann das Schicksal der nahen Landbevölkerung nicht viel anders gewesen sein. Vielleicht war es besser während des Siebenjährigen Krieges in der Mitte des 18. Jahrhunderts, als französische Truppen von Hameln durchmarschierten, und den napoleonischen Kriegen zu Beginn des 19., aber wie immer, Armeen auf Bewegung durch fremde Länder haben schon seit jeher ihren Tribut von denen, die dort leben, gefordert.
Zurück zur Marienburg:[28] Ein dortiger Besuch ist ein unvergessliches Erlebnis. Die bezaubernden Räume des Schlosses stehen der märchenhaften Aussenansicht in nichts zurück, und der Bergfried erlaubt grossartige Panorama-Ausblicke auf die Umgebung, auch auf die ferne ‚Finie‘, auf der man die Kirche von Wittenburg ausmachen kann.
Der ursprüngliche Architekt der Marienburg war der Meister von Baumeistern, Conrad Wilhelm Hase, der in der neogotischen Erneuerunsbewegung respektiert und gefragt war. Es ist deshalb keine Überraschung, dass Spuren seines Wirkens auch in der Wittenburger Kirche zu finden sind. Lang aufgeschobene Reparaturen mussten an dem nun 300 Jahe alten Gebäude schon im Jahr 1800 vorgenommen werden. Neben anderen Arbeiten wurde der Dachgiebel erheblich niedriger gemacht und das Dach mit Ziegeln belegt. Dies änderte die Proportionen der Kirche, so dass sie jetzt von fern gesehen mehr wie eine Kapelle aussieht. Dies ist jedoch viel besser als die einige Jahrzehnte früher vorgeschlagene Alternative – und die glücklicherweise damals von den Behörden abgelehnt wurde: Den Kirchenbau ganz zu demolieren! Es brauchte noch ein weiteres halbes Jahrhundert, bis ein neuer Glockenturm auf das Dach kam, zwar kleiner als der ursprüngliche, aber zumindest dadurch das Gesamtbild wieder hergestellt. Später, in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich Hase mit der Erneuerung des Inneren, wobei er darauf achtete, dem spätgotischen Stil treu zu bleiben.
Nach einem Aufsatz ‚Die Geschichte Wittenburgs‘ von den Abgangsschülern der Volksschule in 1971[29], der leider weder die Schule noch den Ort nennt, hatte die Kirche auf der Finie noch mehr erlitten als nur lange Vernachlässigung von deren Unterhalt: Der westliche Teil der Kirche, in welchem während der Klosterzeit das ‚gemeine Volk‘ Gottesdienst halten konnte, im Gegensatz zum abgeteilten östlichen und nur den Mönchen reservierten Raum, wurde seit 1590 als Schafstall benutzt. Das Blöken der Schafe während des Gottesdienstes veranlasste Pastor Bauer von Wülfinghausen 1867 schliesslich eine Bitte direkt an den König von Preussen zu richten, die gesamte Kirche wieder als ein Haus der Andacht zu erstellen. Es dauerte fünf Jahre bis sich sein Schreiben durch die verschiedenen Bürokratien schaffte, und die Verwalter der Domäne Wittenburg endlich zustimmten. Die Schafe waren weg, aber der westliche Teil der Kirche wurde weiterhin als Lagerraum gebraucht.
Glücklicherweise kam schliesslich Hilfe von höchster Warte, um die Kirche wieder zu deren ursprünglichen Aufgabe zurückzuführen: Von Kaiser Wilhem II persönlich. Er kam im September 1889 auf die Wittenburg ‚Finie‘, um von dort oben seine beliebten ‚Kaiser Manöver‘ in der Ebene des Leinetals zu beobachten. Als ein Liebhaber von Mittelalterlichem, besuchte er auch die Kirche. Er soll nicht an allem was er sah, Gefallen gefunden haben, und liess prompt veranlassen, die Kirche weiter im Sinne derer ursprünglichen Funktion zu restaurieren..
Jene die sich interessieren mehr über diese ‚Kaiser Manöver‘ in Wittenburg, Sorsum, Boitzum, Wülfinghausen und Osterwald zu erfahren, können darüber in der ‚Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift, 1889,[30] nachlesen. Es ist das offizielle Organ der Schweizer Armee. Die Schweizer waren offensichtlich schon immer scharfe Beobachter von Ereignissen jenseits der Grenzen ihres kleinen Landes im Herzen von Europa.
Die zwei Weltkriege liessen, wie anderswo, auch hier tiefe Narben. Das Denkmal im Schatten der Wittenburger Kirche in Erinnerung an die vielen, die nie wieder zu deren Heimatdörfern Wittenburg, Sorsum und Boitzum zurückkehrten, mahnt daran. Der Zweite Weltkrieg brachte den Krieg auch wieder in diese Lande selbst, als amerikanische Panzer im frühen April 1945 von Hameln kommend durch die Dörfer und Elze rasselten, auf dem Weg zum ausgebombten Hildesheim und weiter. Die Nachhut des Krieges brachte einen starken Strom von Vertriebenen aus dem ehemals deutschen Osten, die hauptsächlich in den grösseren Orten angesiedelt und integriert wurden. Für eine Zeitlang wurde in der Wittenburger Kirche sogar die katholische Messe gehalten, um den katholischen Flüchtlingen aus dem Osten auch geistliche Unterstützung zu geben.
Später kam die Umstrukturierung der politischen Körperschaften: Was einmal möglicherweise an der nördlichsten Ausweitung des alten Römischen Reichs lag, ein Teil des heidnischen Sachsens war, des fränkischen Sachsens, des Heiligen Römischen Reichs, der Herzogtümer, des napoleonischen Zwischenspiels, der Königreiche Hannover und Preussen, des Kaiserreichs, der Republik, des NS-Albtraums – wurde nun nach fast zwei Millennien das Land Niedersachsen in der Bundesrepublik Deutschland. Niedersachsen und die Landeskirchen verhandelten dann noch einen wichtigen Vertrag in 1955, den Loccumer Vertrag, – nach dem Kloster benannt, in welchem er unterzeichnet wurde -, der das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen regelt. Der Vertrag hatte für Wittenburg Bedeutung, weil dadurch die alte Wittenburger Klosterkirche der örtlichen Kirchgemeinde übertragen werden konnte. Es war in gewissem Sinn der letzte Akt der ‚Dissolution‘ der klösterlichen Besitztümer, sozusagen das letzte Stück der königlichen Domäne, nachdem alles andere schon 1908 an eigenständige Bauern verkauft worden war.
Wittenburg wird Stadtteil von Elze
1974 brachte die Eingemeindung mit der kleinen Nachbarstadt Elze,[31] die auch die Dörfer Esbeck, Mehle, Shide, Sorsum und Wülfingen mit einbezog. Wittenburg ist der kleinste Staddteil[32] von Elze, aber es hält weiterhin einen Grad an Selbstregierung inne, wie auch die anderen Dörfer.
Letztens, aber deshalb nicht weniger wichtig: Im Jahr 2000 wurde der Verein ‚Freunde der Wittenburger Kirche‘[33] gegründet. Kirche und das ganze Ensemble auf der Finie, auch die teilweise restaurierte Klostermauer stehen jetzt unter Denkmalschutz. Die Vereinsmission ist ‚die Erhaltung der Kirche mit ihrem geschichtlichen Umfeld als geistlichen und kulturellen Mittelpunkt der Gemeinden rund um die Finie‘, ‚Förderung von kirchlichen und kulturellen Veranstaltungen‘, ‚Förderung der Unterhaltung des Kirchenbauwerkes und Pflege des Klosterberges‘, ‚Ausweitung von Nutzungsmöglichkeiten‘. Kurz gefasst, der Verein will die Tradition von all denen fortführen, die sich um die Kirche sorgten und sich für die lange Geschichte interessierten, die sich auf und um den die ‚Finie‘ genannten Höhenzug abspielte.
Dezember 2020, bearbeitet Februar 2021, Januar 2023
Literatur/Links
[1] Chronik von Wülfinghausen und Wittenburg, 1895, (Chronicles of Wülfinghausen and Wittenburg), Heinrich Stoffregen: (Seiten 55-83 pdf and Gedicht über W, Seiten am Schluss deren Webseite)
[2]Wenn Steine reden könnten, Ernst Andreas Friedrich, 1998, Bd IV, page 90
[3] Eine Siedlungsstelle der römischen Kaiserzeit by Wülfingen an der mittleren Leine, Die Kunde, Zeitschrift für niedersächsische Archäologie, 1983/84 Nr. 34/35, Roland Webersinn, Seiten 237-245
[6] Hildesheim, Bd. 52/1981, Roland Webersinn, Seiten 7-10
[9] Burg und Klause Wittenburg, Jahrbuch derGesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, no. 26, 1922, Philipp Meyer, Seiten 52-53, 57-58
[10] Geschichte der Diözese und Stadt Hildesheim, H.A. Lüntzel, 1858, Seite 40
[11] Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, Bd VI, Janicke-Hoogeweg, Seite 990
[15] Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel, 1976, Reinhard Wenskus
[16] EBIDAT – Die Burgendatenbank
[17] Die Urkunden Wittenburgs bis 1398 in Janicke-Hoogeweg, Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, Bd I bis VI, 1896-1911
[18] Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte (Magazine of the Society for Lower-Saxon Church History), Seite 257
[19] Letzner, Hildesheimer Chronik Bd II, Seite 54 und Bd III, Seite 16
[20] Geschichte der Diöcese und Stadt Hildesheim, H.A. Lüntzel, 1858 Seiten 6-15 ‘Der Kirchenvogt’
[21] Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim VI, Nr. 762, Seite 2, 500 Jahre Klosterkirche Wittenburg
[22] 500 Jahre Klosterkirche Wittenburg, 1997, Prof.Dr. Nicolaus Heutger
[23] Windesheimer Gemeinschaft
[26] Geschichte der Diöcese und Stadt Hildesheim, H.A. Lüntzel, 1858 (History of the Diocese and City of Hildesheim) Pages 433-450 ‘Magnus 1424-1452’
[29] Die Geschichte Wittenburgs, 20.3.1971, (The History of Wittenburg, Graduating Class of Grade School, direction Pastor Herbst) Die Abgangsschüler der Volksschule unter Leitung von Pastor Herbst, Wülfinghausen
[30] Kaiser Manöver von 1889 Allgemeine Schweizerische Militaerzeitung Nr.44, 2. Nov. 1889